Das Gipfeltreffen

Stefan Glowacz und Bernd Arnold. Im Hintergrund die Südwand der Gans.
Großes Kino: Stefan Glowacz und Bernd Arnold gemeinsam am Gansfels. (Foto/Montage: Hartmut Landgraf)

Stefan Glowacz und Bernd Arnold zusammen am Seil. Servus TV bringt die historische Begegnung im Oktober ins Fernsehen. Und der Sandsteinblogger war bei den Dreharbeiten dabei.

Zwei Meister des Klettersports – jeder in seiner eigenen Welt ein Idol – vereint an einem Seil und einem Ort, der wie kaum ein anderer in Europa Klettergeschichte geschrieben hat und bis heute schreibt. Das verspricht großes Kino und ist der Stoff, aus dem Werner Bertolan seinen neuen Film über die Sächsische Schweiz machen will. In den Hauptrollen: Weltstar Stefan Glowacz und Sachsens Kletterkönig Bernd Arnold. Drehort: die Vordere Gans im Rathener Gebiet. Südwand.

Arnold und Glowacz an einem Sachsenklassiker! So eine Gelegenheit bekommt man nicht alle Tage. Eingeklemmt zwischen zwei Felswülsten, stecke ich fünf Meter über dem Boden in einem Riss in unmittelbarer Nachbarschaft zur Südwand – die Kamera im Anschlag. Unten bespricht Werner Bertolan mit seinem zweiköpfigen Drehteam die letzten Details.

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Teaser_Elbsandstein_vimeo from Timeline-Production on Vimeo.

Die Gans-Südwand (heute im Kletterführer als Südwestwand bezeichnet) gehört zu den namhaften Traditionsrouten in der Sächsischen Schweiz – stolz und wuchtig wie eine Burgmauer erhebt sie sich hoch über dem Wehlgrund. Wer die Route klettert, hat oben fast 90 Meter Luft unter den Füßen. 1909 von Arymund Fehrmann erstbegangen, spiegelt sie schon rein optisch einen Epochenwechsel im sächsischen Klettern wider: Vom Fuß des Felsens geht es zunächst einen abweisenden Kaminriss hinauf, dann folgt die offene Wand. Genau so entwickelt sich der Sport zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Mit der Jahrhundertwende wird es den Sachsen in ihren Kaminen zu eng, einige wagen sich erstmals hinaus in die blanken Wände ihrer Felsenheimat. Die Gans-Südwand hat Klettergeschichte geschrieben. Und nun soll sie einen Ehrenplatz im österreichischen Fernsehen bekommen, neben Sendungen über die heiligen Gipfel Tibets, die Nordwände der Alpen und den Mythos Everest. Die Sächsische Schweiz wird Teil der aufwendigen Dokumentations-Reihe „Bergwelten“ von Servus TV.

Südwand am Vorderen Gansfels
Die Südwand am Vorderen Gansfels gehört zu den namhaften Traditionswegen in der Sächsischen Schweiz. 1909 von Arymund Fehrmann erstbegangen, Schwierigkeit: VIIa. (Foto: Hartmut Landgraf)

Wer geht ans scharfe Ende?

Die Absprachen am Felsfuß ziehen sich in die Länge. Ich lasse die Kamera sinken und lege doch sicherheitshalber eine Schlinge, damit ich im Eifer des Gefechts nicht versehentlich aus dem Riss rutsche. Wer wird vorsteigen? Zwei Spitzenkletterer. Zwei Führungsnaturen. Aber das Seil hat nur ein scharfes Ende. Ein paar Gesprächsfetzen dringen zu mir nach oben – Lokalmatador Bernd Arnold wird den unteren Teil der Route übernehmen, doch oben unterm Gipfel soll er die Führung an Stefan Glowacz abgeben. Und Werner Bertolan – ein Mann, der in seinem Leben selbst noch nie geklettert ist – scheut sich kein bisschen, die beiden legendären Bergsteiger für ihre Tour richtig einzunorden. „Ich möchte, dass ihr erstmal klettert und nicht gleich quatscht“, sagt er gerade. Ich traue meinen Ohren nicht.

Doch der Regisseur, dessen kurze schlohweiße Haare nicht so recht zum glatten und jungenhaft wirkenden Gesicht passen wollen, hat auf andere Art ein großes Maß an Erfahrung im Bergsport gesammelt. Der Münchner ist vor 25 Jahren mit einer Bergsteigersendung bei SAT1 ins Filmgeschäft eingestiegen und seinem Metier treu geblieben, allein in den letzten Jahren hat er vier bis fünf Bergfilme gemacht – eine seiner Dokumentationen wurde 2013 auf dem Filmfest in Graz mit der Kamera Alpin in Gold ausgezeichnet. Er wird schon wissen, was er zu jemandem wie Bernd Arnold sagen kann und was nicht. Der Hohnsteiner steht mit Glowacz etwas abseits, sortiert seine Schlingen und Karabiner, und wechselt ein paar ruhige Worte mit seinem Seilgefährten. Klettern nach Drehbuch ist eine Welt für sich, und im Zweifel entscheidet eben der Regisseur, wer als Erster auf den Gipfel steigt. Bei Bernd Arnold gäbe es da nach den vorangegangenen Drehtagen ein kleines „Continuity-Problem“.

Gesprächszene am Einsteig
Stefan Glowacz im Gespräch mit Kameramann Max Reichel. (Foto: Hartmut Landgraf)
Bernd beim Erklären
Gastgeber Bernd Arnold. Jede Route fängt im Kopf an… (Foto: Hartmut Landgraf)
Bernd sortiert seine Schlingen
Bandsalat? Schlingenkunde gehört zu den wichtigsten Disziplinen im sächsischen Bergsteigen. In vielen Routen gibt es gar keine oder nur wenige Ringe – der überwiegende Teil muss selbst abgesichert werden. (Foto: Hartmut Landgraf)
Glowacz und Arnold am Einstieg der Route
Passt schon, der Riss! Die beiden Protagonisten am Einstieg der Route. (Foto: Hartmut Landgraf)
Seilschaft
Gleich geht´s los. (Foto: Hartmut Landgraf)

Kletterlatein: Nähmaschine bis Continuity-Problem…

In der Welt eines Sandstein-Kletterers können alle möglichen Hindernisse auftauchen: nasser Fels zum Beispiel, morsche Griffe oder Seilzug von unten. Oder auch die gefürchtete Nähmaschine – ein nervöses Wadenzittern, das einen immer genau dort ereilt, wo man es am allerwenigsten gebrauchen kann: auf unsicheren Tritten und in ähnlich unliebsamen Grenzsituationen. Aber was in aller Welt ist ein Continuity-Problem? Werner Bertolan wird mir später erklären, dass solche Bedenken nichts mit Fels- sondern mit Leinwänden zu tun haben. Es geht um den stimmigen Anschluss zwischen zwei Filmsequenzen. Wird mehrere Tage lang an ein und derselben Szene gedreht, muss der Regisseur darauf achten, dass sich aus Zuschauersicht nichts ändern – die handelnden Personen müssen zum Beispiel immer das gleiche T-Shirt tragen. Das gilt auch für die Reihenfolge beim Klettern. Einige Szenen vom oberen Teil der Gans hat das Team tags zuvor bereits aus anderer Perspektive gefilmt – da war Stefan Glowacz vorn. Darum muss das auch so bleiben, alles andere wäre ein Bruch.

Es ist ein großes und packendes Thema für einen Bergfilmer: Die beiden Kletterkönige aus Sachsen und Bayern sind sich zwar schon des Öfteren begegnet – zusammen an der Wand aber waren sie bisher nur ein einziges Mal, und das ist schon Jahrzehnte her: In den 80er-Jahren sind sie zusammen das Lineal am Meurerturm geklettert. Bernd Arnold hat es nicht vergessen: „Stefan ist ein begnadeter Kletterer“, sagt er. „Ein großes Talent. Und er hat was draus gemacht.“ Auch Glowacz war auf das Wiedersehen im Elbsandstein gespannt. „Als ich mit Klettern anfing, war Bernd einer meiner Heros“, verrät er. Zwischen seinen Bigwall-Expeditionen nach Südamerika oder in die Arktis trieb ihn seine Abenteuerlust immer mal wieder nach Sachsen – er mag die Felsen und die „psychische Komponente“, die dem sächsischen Klettern innewohnt. „Wer sich für einen guten Kletterer hält, muss in den Elbsandstein – das ist die Feuertaufe“, sagt Glowacz.

Kletterer im Riss
Auf geht´s: Und immer schön sächsisch… (Foto: Hartmut Landgraf)
Kameramann mit Rucksack
Was vergessen? Kameramann Max Reichel ist noch nicht ganz startklar für den Dreh. (Foto: Hartmut Landgraf)
Trinkpause in der Wand
Bisher sieht´s ja ganz entspannt aus. (Foto: Hartmut Landgraf)
Jeder Meter des Aufstiegs wird gefilmt
Jeder Meter des Aufstiegs wird gefilmt. (Foto: Hartmut Landgraf)

Geschichtsstunde unter der Wand

An der Gans-Südwand läuft alles nach Plan. Die Anschlüsse klappen, Bernd und Stefan klettern, einvernehmlich wie zwei alte Seilfreunde, an der mächtigen Felswand immer höher hinauf – erst steigt der eine voran, dann der andere. Nebenher als Begleitmannschaft jümarn an einem Fixseil Max und Franz nach oben, die beiden Kameraleute von Timeline Production, einer auf Grenzabenteuer spezialisierten Filmfirma aus Bad Reichenhall. Wo der Kamin endet, verliere ich das Team vorübergehend aus den Augen.

Regisseur studiert Sachsens Klettergeschichte
Vertieft in Sachsens Klettergeschichte: Regisseur Werner Bertolan. (Foto: Hartmut Landgraf)

Szenenwechsel. Auf seiner linken Seite hat der Gans-Felsen einen mächtigen Vorbau, wo sich inmitten von Riffkiefern und Heidekraut eine natürliche Empore versteckt, die einen geradezu atemberaubenden Blick auf die Südwand freigibt. Werner Bertolan und ich kraxeln hinauf, um das Finale zu beobachten. Der Regisseur macht es sich auf dem Felsbalkon bequem, steckt die Nase aber zwischendurch immer wieder auch in ein graues Buch. Nicht ins Drehbuch – das ist kaum ein Dutzend Seiten stark, hat er mir gesagt – sondern in ein üppiges Geschichtswerk über den sächsischen Kletterpionier Oscar Schuster, das auch einen Beitrag von Bernd Arnold enthält. Bertolan nimmt sich Zeit für solche Dinge. Er will nicht nur seine Hauptfiguren, sondern auch die Landschaft und deren Geschichte verstehen. So geht es in seinem Film keineswegs nur um die Begegnung zweier Idole – es geht ums Ganze, wie der Münchner erklärt. „Filmen ist die Kunst des Möglichen“, sagt er. „Und 50 Minuten Film, das ist eine ganze Menge Holz.“ Für seine ersten Erkundungen war Bertolan bereits im Frühjahr im Elbsandsteingebirge – Bernd Arnold knüpft für ihn alle wichtigen Fäden zum Thema und zur Region. Jetzt ist er samt Drehteam zurück – und bleibt diesmal neun Tage. Er spricht mit Kletterern und Boulderern, lässt sich das Gebirge von einem Kartografen erklären, von einem Landschaftsmaler und einem Geologen… „Ich habe viele Berge gesehen“, sagt Werner Bertolan. „Aber diese Landschaft hier ist ein absolutes Juwel. Bernd und Stefan sind der rote Faden für den Film, aber ich möchte noch viel mehr von der Sächsischen Schweiz einfangen – auch das Mystische und Märchenhafte an ihr.“

Für heute hat der Regisseur genug gesehen. Drüben steigt die Mannschaft soeben auf den Gipfel. Über ihren Köpfen schiebt sich eine düstere Wolkenbank von Südosten her in den Wehlgrund – grimmig grau und violett. Das sieht nach Gewitter aus. In der Ferne leuchtet Stefan Glowacz in seinem roten T-Shirt vor der finsteren Kulisse wie eine Vogelbeere. „Wie fühlst du dich, wenn du so über das Land schaust?“, soll er Bernd Arnold in der Schlussszene fragen. So steht es im Drehbuch. Und der Hohnsteiner wird ihm darauf irgendeine filmreife Antwort geben. Worüber die beiden Kletterkönige dann wirklich sprechen, Minuten später, als die Kamera aus ist, bleibt ihr gemeinsames Gipfelgeheimnis.

Kameramann beim Aufstieg
Für die Kameraleute ein hartes Stück Arbeit. Franz Hinterbrandner jümart den beiden Hauptdarstellern immer ein Stück voraus. (Foto: Hartmut Landgraf)
Stefan klettert
Südwandfeeling – Stefan Glowacz an der Vorderen Gans. (Foto: Hartmut Landgraf)

Screenshot_1Nicht verpassen!

Bergwelten im Elbsandstein:

23. Oktober, 20.15 Uhr bei Servus TV.

Wiederholung: 24. Oktober, 14.50 Uhr.

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