Mayan Smith-Gobat: „Ich stelle das Risiko gegen das, was ich gewinnen kann“

Die Neuseeländische Extremkletterin Mayan Smith-Gobat klettert in Patagonien die legendäre Ostwand des Torre Central
Höhenflüge im Schönwetterfenster: Mayan Smith-Gobat klettert in Patagonien die 31. von insgesamt 38 Seillängen (7c+) der legendären "Riders on the Storm" an der Ostwand des Torre Central - eine Route des Dreamteams Wolfgang Güllich/Kurt Albert/Bernd Arnold. (Foto: Thomas Senf)

Januar 2016 – zwei Frauen wollen schaffen, was bisher keinem Mann gelang: die erste freie Begehung der legendären „Riders on the Storm“ in Patagonien. Sie verfehlen ihr Ziel nur um Haaresbreite. Jetzt kommt eine von ihnen ins Elbsandsteingebirge: die neuseeländische Spitzenkletterin Mayan Smith-Gobat. Zum Hohnsteiner Bergsommerabend – und zum Klettern.

Patagonien. Ein sturmgepeitschter Ort ganz im Süden des amerikanischen Kontinents. Atemberaubend steile Granitberge, schroffe, sagenhaft glatte Wände. Gefährliche Gletscher und unberechenbare Wetterlaunen. Ein extremes Erlebnis selbst für Extremkletterer. Im Januar 2016 brechen zwei Frauen auf, um an diesem Pol der Sehnsucht Geschichte zu schreiben: die Neuseeländerin Mayan Smith-Gobat und die Deutsche Ines Papert. Ihr Ziel: „Riders on the Storm“, eine extrem schwierige 1300-Meter-Wand am Torre Central, erstbegangen vor 25 Jahren von der seinerzeit besten deutschen Seilschaft: Bernd Arnold, Kurt Albert, Wolfgang Güllich. Die beiden Frauen wollen sie komplett frei klettern – alle 38 Seillängen. Sie schaffen es auf den Gipfel, aber ihr eigentliches Ziel verfehlen sie um Haaresbreite. Mayan Smith-Gobat versucht es ein Jahr später erneut – wieder vergeblich. Aber sie will nicht aufgeben. Und jetzt kommt die Neuseeländerin ins Elbsandsteingebirge. Um Bernd Arnold zu treffen. Zum Hohnsteiner Bergsommerabend. Und zum Klettern. Der Sandsteinblogger sprach mit ihr über die Grenzen des Machbaren im Bergsport, über Männer, Frauen und die Liebe – und Risiken, die es einzugehen lohnt.

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Portrait der Extremkletterin Mayan Smith-Gobat
Mayan Smith-Gobat wurde 1979 in Neuseeland geboren und verbrachte einen Teil ihrer Kindheit am Fuß des Mt. Cook in den Neuseeländischen Alpen. Heute lebt sie in Bayern. 1996 begann sie zu klettern und punktete in den darauffolgenden Jahren bald mit sportlichen Bestleistungen. Unter anderem schaffte sie 2013 die 1000 Meter hohe „Nose“ am El Capitan (USA) in nur 5 Stunden und 39 Minuten – und erzielte damit einen Speed-Rekord bei den Frauen.  (Foto: Thomas Senf)

Mayan, auf deiner Internetseite gibt es ein Zitat des amerikanischen Pädagogen Leo Buscaglia. Es besagt sinngemäß, dass wir ohne etwas zu riskieren weder lernen, fühlen, uns verändern, wachsen, leben oder lieben können. Das sind starke Worte. Warum sind sie dir so wichtig?

Das hat mit dem Tod einer Freundin zu tun, die mir sehr nahe stand. Sie hatte Krebs, und ich habe ihre Kämpfe über sieben Jahre mitgemacht. Als sie starb, gab mir jemand dieses Zitat.

Wie hast du den Tod deiner Freundin verkraftet?

Ich bin weitergeklettert, aber anfangs war alles leer und ohne Bedeutung für mich. Das Zitat hat mir geholfen, darüber hinweg zu kommen. Ich habe es mir sehr zu Herzen genommen. Es brachte alles zusammen – dass das Leben nicht ewig dauert, dass es jeden Moment zu Ende sein kann und dass deshalb jeder Moment so wichtig ist. Damals war ich Anfang 20.

Unser Verhältnis zum Risiko ist zwiespältig. Männer riskieren manchmal zu viel. Gehen Frauen anders damit um?

Das kommt sicher auf die Lebensphase an, in der wir gerade stecken. Im Großen und Ganzen denke ich aber, dass Frauen tatsächlich ein bisschen mehr drauf achten und nicht ganz so viel riskieren.

Wie ist das bei dir?

Ich stelle das Risiko gegen das, was ich gewinnen kann. Es ist eine Art Ausgleich. Wenn mir etwas wirklich sehr am Herzen liegt und ich es unbedingt machen will, dann werde ich auch mehr dafür riskieren. Aber ich schaue mir die Sache vorher sehr genau an und spaziere nicht einfach blindlinks hinein. Wenn ich dann eine Entscheidung getroffen habe, kann ich sehr gut abschalten und nicht mehr drüber nachdenken. Denn seine Angst sollte man lieber nicht mit in die Wand nehmen.

Extremkletterin Mayan Smith-Gobat in der Wand.
„Dieses Mächtige und Ganzheitliche, das man dort findet. Die Mischung von körperlicher und mentaler Anstrengung. Beim Klettern geht das eine nicht ohne das andere.“ (Mayan Smith-Gobat/Foto: Drew Smith)

Wie bist du zum Klettern gekommen?

Eigentlich war es schon von Anfang an Teil meines Lebens. Ich bin am Fuß des Mt. Cook aufgewachsen, mein Vater war Bergführer. Meine Eltern haben mich ein paar Mal zum Klettern mitgenommen, schon als ganz kleines Kind – davon gibt es sogar ein Video. Als ich 16 wurde, habe ich aus eigenem Antrieb einen Bergsteigerkurs gemacht. Das hatte nichts mehr mit den Eltern zu tun. Von Anfang an hat mich dieser freie Lebensstil gereizt – die Leute, die man traf und die überall die Welt bereisen, um zu klettern. Auch die Natur und die Berge selbst haben mich total fasziniert. Dieses Mächtige und Ganzheitliche, das man dort findet. Die Mischung von körperlicher und mentaler Anstrengung. Wie sehr beides zusammenhängt. Beim Klettern geht das eine nicht ohne das andere.

Welcher war dein erster Gipfel?

Ein ziemlich kleiner und unbekannter Berg in den Neuseeländischen Alpen, ganz in der Nähe des Mt. Cook. Ich glaube, er hieß Sealy. Den Mt. Cook selbst habe ich bis heute nicht bestiegen. Aber das würde ich gerne irgendwann in meinem Leben nachholen.

Inzwischen hast du einen Speed-Rekord an der Nose, eine Reihe von extrem schweren Erstbegehungen in Neuseeland und Australien – wo ist deine Grenze?

Ich merke, dass mein Körper nicht mehr der Jüngste ist. Ich hatte schon ziemlich viele Verletzungen und muss alles ein bisschen langsamer angehen. Die ganz schweren Sachen mit maximalem Krafteinsatz gehen wahrscheinlich nicht mehr – zumindest wäre es nicht schlau, so weiterzumachen, wenn ich einen einigermaßen gesunden Körper behalten möchte. Deshalb verschieben sich meine Ziele inzwischen mehr hin zu den Expeditionen – zu längeren, aber dafür nicht mehr ganz so schweren Sachen.

Im vorigen Jahr bist du zusammen mit Ines Papert die legendäre Riders-on-the-Storm in Patagonien geklettert. Ihr wolltet sie komplett frei machen. Am Ende haben nur vier Seillängen gefehlt. Siehst du das als Niederlage?

Was ist eine Niederlage? Zu der Zeit war die Erfahrung auf alle Fälle eine rein positive. Nicht mit dem idealen Ergebnis vielleicht, aber immer noch sehr, sehr gut – wir haben eine freie Lösung gefunden, und zwei Seillängen frei gemacht, die zuvor nur technisch geklettert wurden. Eigentlich lief es super. Und jetzt hat es mich eben gepackt. Diese Tour komplett frei zu klettern, steht immer noch hoch oben auf meiner Wunschliste.

Routenverlauf. (Foto: Franz Walter)
Routenverlauf. (Foto: Franz Walter)

Die Route:

  • Name: Riders on the Storm
  • Location: Ostwand des Torre Central (2800 Meter) im Torres del Paine-Nationalpark in Chile. Torres del Paine leitet sich nicht, wie man vermuten könnte, vom englischen Wort „Pain“ ab – also Türme der Pein – sondern bedeutet übersetzt nach der Sprache der Mapuche-Indianer „Blaue Türme”
  • Länge: 1300 Meter Granit, 38 Seillängen
  • Schwierigkeit: 7c+ (nach sächsischer Skala Xc)
  • Erstbegehung: 1991 – Kurt Albert, Bernd Arnold, Wolfgang Güllich, Norbert Bätz, Peter Dittrich
  • Mayan Smith-Gobat und Ines Papert gelingt in Begleitung des Fotografen Thomas Senf die fünfte bekannte Begehung
  • Bis auf vier Seillängen konnten alle Seillängen frei, ohne technische Steighilfen geklettert werden
  • Expedition: 16. Januar 2016 bis 20. Februar 2016, 15 Klettertage
  • Gipfel: 6. Februar, 12.48 Uhr

Anfang des Jahres warst du nochmal dort.

Ja, mit Brette Harrington. Aber das Wetter war richtig schlecht. Das zeigt, wie viel Glück Ines und ich im Jahr vorher hatten. Wer es nicht selbst mal erlebt hat, würde kaum glauben, wie schlecht das Wetter da sein kann. Ich kannte die Geschichten von Leuten, die wochenlang nur im Zelt sitzen und nichts machen konnten. Bei uns war es dieses Jahr fast genauso. Wir hatten acht Tage in der Wand, in über sechs Wochen. Das ist echt wenig. Zwei Tage, wo wir die schweren Seillängen versuchen konnten. Einen Monat hat es gedauert, bis wir durch die erste Hälfte der Tour gekommen sind. Im Jahr davor hatten wir das in zwei Tagen geschafft. Alles war total vereist und gefährlich. Zum einen fand ich es scheiße, dass es so gelaufen ist, aber andererseits konnte ich dadurch die andere Seite kennenlernen und sehen, was Patagonien wirklich bedeutet. Geblieben ist die Motivation, es nochmal zu versuchen.

Ines und Mayan sortieren ihre Lebensmittelvorräte
Letzter Verpflegungscheck im Basislager unter dem Torre Central. Mayan (links) und Ines. (Foto: Thomas Senf)
Die deutsche Extremkletterin Ines Papert klettert das Rosendach der Route Riders on the Storm
Ines Papert unter dem sogenannten Rosendach, Seillänge 27. (Foto: Thomas Senf)

Ein Problem ist die Steinschlaggefahr. Letztes Jahr mit Ines ist euch ein Brocken direkt ins Portaledge geflogen. Solche Risiken sind kaum kalkulierbar. Ines hat sich gegen einen zweiten Versuch entschieden, warum willst du das unbedingt schaffen?

Über diese Frage habe ich viel nachgedacht. Es gibt auf jeden Fall ein Risiko. Im unteren Teil dieser Wand schlagen des Öfteren Steine ein. Ich glaube aber, das ist etwas, was in fast jeder großen Wand passieren kann. Ich denke nicht, dass diese Tour gefährlicher ist als viele andere. In meinen Augen sind die großen alpinen Eistouren, die Ines macht, genauso gefährlich, wenn nicht noch mehr. Ich für meinen Teil gehe lieber an eine solche Wand als an einen Eiszapfen, weil ich eher Felskletterin bin – weil ich mich mit Steinen wohler fühle. Und wenn man erstmal durch den unteren Teil der Wand durch ist, sind die Risiken nicht mehr so hoch, dass man getroffen wird.

Portrait Ines Papert
(Foto: Frank Kretschmann)

„Die paar Seillängen, die uns fehlen, wären für mich kein Grund, das nochmal zu versuchen. Ich finde das Risiko einfach zu hoch. Ich habe mich ganz klar dagegen entschieden.“

Ines Papert

Was Mayans Seilgefährtin zur Route sagt >>> zum Interview

War euer Portaledge an der falschen Stelle?

Daran lag es meiner Meinung nach nicht. Die Wand ist echt steil da. Ich glaube, da ist ein großer Stein irgendwo über uns eingeschlagen und dabei zerbrochen. Denn was reingeflogen kam, waren lauter kleine Steine. Wenn an dieser Stelle ein großer Brocken direkt vom Gipfel runterfällt, dann fliegt er vorbei – eigentlich sollte es dort sicher sein. Trotzdem kann sowas passieren.

Ist der Turm das wert?

So, wie er dasteht, finde ich ihn einfach irre schön. Und Riders-on-the-Storm ist die direkteste Linie durch die Ostseite. Die Route zieht mich schon aus rein ästhetischen Gründen sehr an. Diese Ausgesetztheit, und dass nicht viele Leute da hingehen. Die Kletterei ist schön. Super Stein. Richtig geile Bewegungen. Und eine vielfältige Tour, wo man fast alles können muss – von technischer Zackenkletterei bis zu Offwidth, mal steile Wand, mal Leistenziehen, mal Rissklettern. Nicht zu vergessen, die Geschichte! Leute wie Wolfgang Güllich, Kurt Albert und Bernd Arnold haben mich sehr beeindruckt.

Berglandschaft Patagonien, zwei Frauen auf dem Gipfel des Torre Central
Mayan und Ines auf dem Gipfel des Torre Central. (Foto: Thomas Senf)

Warst du schon mal im Elbsandsteingebirge?

Ja, ich war mal da mit dem Bernd, wir sind aber damals nur rumgelaufen. Ich freu mich echt drauf, mit ihm zu klettern – das wird ein Erlebnis!

Nochmal zurück zu dem Zitat auf deiner Internetseite. Wer nichts riskiert, bringt es zu nichts – nicht im Leben und auch nicht in der Liebe. Das Risiko ist dein ständiger Begleiter. Wie steht es mit den anderen beiden Dingen?

(Lacht) Ich glaube, ich strebe da immer nach einem Ausgleich, dass ich klettern gehe und trotzdem genügend Zeit für andere Dinge habe. Ich schaffe es aber oft nicht.

Hat der Wunsch nach einer Familie, nach Kindern, einen Platz in deinem Leben?

Er war nie sehr stark. Eigentlich wollte ich keine Kinder. Ich dachte, ich bin zu sehr auf meine eigenen Ziele bezogen. Das ändert sich langsam. Heute bin ich an einem Punkt, wo ich sag, ich wäre offen dafür. Aber dafür müsste es mit einem Partner richtig passen.

Was wäre für dich ein triftiger Grund, mit dem Klettern aufzuhören?

Wahrscheinlich mein Körper. Wenn er es nicht mehr mitmacht. Ich hoffe, das wird nie passieren und ich kann weiterklettern, bis ich 70 oder 80 bin. Es gibt so viele Ziele.

Mayan Smith-Gobat beim Hohnsteiner Bergsommerabend

Am Sonnabend, 8. Juli, spricht die neuseeländische Spitzenkletterin im Max-Jacob-Theater Hohnstein live über ihre unbändige Lust auf Felswände. Beginn: 20.00 Uhr | Eintritt: 12,00 Euro

Hohnstein feiert die Kletter-Frauen!

Der diesjährige Bergsommerabend widmet sich einem brisanten Thema – dem „kleinen Unterschied“. Natürlich geht´s bei Bernd Arnolds beliebtem Kletterfest in Hohnstein nicht um Genderfragen, sondern um den Sport – und wie Frauen ihn prägen. Drei Tage und ein paar namhafte Referenten, die das Thema von allen Seiten beleuchten!

Freitag, 7. Juli | Beginn: 20 Uhr | Max-Jacob-Theater

  • Zitate zum Frauenbergsteigen (Irmgard Braun, Peter Brunnert, Andreas Dick)
  • Historie des sächsischen Frauenbergsteigens (Joachim Schindler)
  • Wie klein ist der Unterschied? (Irmgard Braun, Andreas Dick)

Eintritt: 12,00 Euro

Sonnabend, 8. Juli | Beginn: 20 Uhr | Max-Jacob-Theater

  • Frauen und Leistungssport (Karin Steinbach)
  • Felsklettern, meine Passion (Mayan Smith-Gobat)

Eintritt: 12,00 Euro

Sonntag, 9. Juli | Beginn: 11 Uhr | Brandbaude

Frauen und Klettersport – Wir müssen reden (Peter Brunnert)

Eintritt: 6,00 Euro

Kartenvorverkauf: Bergsport Arnold, Hohnstein – Tel. 035975/81246 | Der Insider, Bad Schandau – Tel. 035022/42372

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