Warum im Elbtal die Erde bebt

Wartturm
Unweit der Bastei ereignete sich am 22. November 2000 einer der größten Felsstürze der letzten Jahrzehnte in der Sächsischen Schweiz. Am Wartturm brach eine ganze Felswand ab - über 300 Kubikmeter Sandstein stürzten ins Elbtal. (Foto: Thomas Pöschmann)

Kaum zu glauben: Im Elbsandsteingebirge gibt es Erdbeben. Zwar nur ganz geringfügige – aber messbar und geologisch plausibel. War der Felssturz am Wartturm vor 15 Jahren vielleicht gar kein Felssturz?

Am Abend des 11. September 2014 ereignet sich, ohne dass es jemand bemerkt, mitten in der Sächsischen Schweiz und in unmittelbarer Nähe zur Bastei – ein Erdbeben. Es gerät nichts aus den Fugen, kein einziger Stein geht zu Boden, die Wanderer und Fotografen spazieren wie jeden Abend entspannt und ungestört über die berühmte Basteibrücke. Am nächsten Tag gibt es keine Schlagzeilen.

Reinhard Mittag
Reinhard Mittag ist Sachsens dienstältester Erdbebenwächter. (Foto: Hartmut Landgraf)

Der Einzige, der das Beben mitbekommt, sitzt 30 Kilometer davon entfernt in Styropor verpackt hinter dicken Türen in einem alten Bergbaustollen, der im Zweiten Weltkrieg als Luftschutzbunker benutzt wurde. Es ist ein kleiner Metallzylinder, in Gestalt und Größe einem Staubsauger nicht ganz unähnlich. In seiner Nähe bewegt sich Reinhard Mittag einen Tick vorsichtiger als anderswo. Denn würde er etwa versehentlich mit dem Fuß gegen das seltsame Ding stoßen, wäre womöglich das Europäische Datenzentrum in Frankreich alarmiert, vielleicht sogar das Internationale Seismische Zentrum in Thatcham, 100 Kilometer westlich von London. Der kleine Zylinder ist nichts anderes als das Herzstück des Seismologischen Observatoriums Berggießhübel – und Reinhard Mittag ist Sachsens dienstältester Erdbebenwächter.

Mittendrin im seismologischen Weltgeschehen

An jenem 11. September des vergangenen Jahres registriert das Berggießhübler Seismometer ein Erdbeben der Stärke 0,9 im Basteigebiet, zwei Stunden später ein weiteres Beben etwas nördlich vom Lilienstein. Zwei winzige Stöße, kaum mehr als ein kurzes Flimmern im Boden – aber sie sind da. Denn sie haben eine unwiderlegbare Spur in Reinhard Mittags Datensammlung hinterlassen, eine Schwingungskurve, die sich der Geophysiker jederzeit mit ein paar Klicks zurück auf einen seiner Flachbildschirme holen kann.

Seismologisches Observatorium Berggießhübel
In diesem unscheinbaren Haus in Berggießhübel fließen die Erdbebendaten aus aller Welt zusammen. (Foto: Reinhard Mittag)

Das Observatorium besteht aus nichts als dem Stollen und einem nüchtern möblierten Büroraum im benachbarten Wohnhaus. In der 25 Quadratmeter großen Kammer stehen auf schwarzgrauer Auslegware mehrere Schreibtische und Computer, auf denen die Erdbebensignale zusammenlaufen. An einer Wand hängt eine Erdkarte, auf dem vergilbten Eichenfurnierschreibtisch in der Mitte thront ein Globus. Das ist Reinhard Mittags Reich. Seit 1977 ist er hier Tag für Tag mittendrin im seismologischen Weltgeschehen.

Ich besuche das Observatorium kurz vor Weihnachten, am 18. Dezember. Tags zuvor, gegen 14 Uhr, haben sich die Kurven auf einem der Monitore plötzlich binnen Minuten zu einem wild gezackten Gebirge aufgebaut. Ein Erdbeben der Stärke 5,3 – irgendwo 21 Grad entfernt in nordwestlicher Richtung. Würde man von Reinhard Mittags Schreibtisch aus mit dem Bleistift einen 2300 Kilometer langen Strich in diese Richtung ziehen, käme man punktgenau über dem Epizentrum des Bebens heraus – in Island, am Rand des Vatnajökullgletschers. „Island ist schon seit dem Sommer aktiv“, sagt der Wissenschaftler. Am gleichen Tag registriert der empfindliche Zylinder im Berg noch weitere Beben: eines in Indonesien, mit einer Stärke von 5,7 auf der Richterskala, und mehrere kleine Erschütterungen in Chile. Nichts davon treibt Reinhard Mittags Puls in die Höhe. Für ihn ist es ein „ganz normaler Tag“.

Bergbaustollen
Die sensiblen Messinstrumente des Observatoriums sind tief unter der Erde in einem alten Bergbaustollen untergebracht. (Foto: Hartmut Landgraf)
Seismometer
In der Messkammer der Erdbebenwarte bewegt sich Reinhard Mittag nur mit äußerster Vorsicht. Der kleine Metallzylinder im Vordergrund, das Seismometer, zeichnet jede noch so kleine Erschütterung auf. (Foto: Reinhard Mittag)

Die Lausitz bedrängt die Sächsische Schweiz

Und wenn im Elbsandsteingebirge die Erde bebt? Was haben Mittags Geräte da bloß am 11. September im Gebiet der Bastei gemessen? Die Antwort mag für einen Geologen plausibel und naheliegend klingen, und doch erscheint sie beinahe unglaublich: Die Lausitzer Überschiebung – Resultat uralter tektonischer Kräfte, die vor 80 Millionen Jahren den Lausitzer Granit auf den etwas weiter südlich liegenden Sandstein zu schieben begannen – ist noch immer aktiv. Die Bewegung ist nicht groß, aber messbar, sagt Reinhard Mittag. Jedes Jahr rückt die Lausitz der Sächsischen Schweiz einen Millimeter weiter auf den Leib.

Es ist nicht die einzige Erschütterung, die in den letzten Jahren im Elbtal gemessen wird. Am 23. September 2013 registriert Berggießhübel ein verhältnismäßig starkes Beben mit einer Magnitude von 2,0 keine 5 Kilometer entfernt von der Sächsischen Schweiz in der Nähe von Graupa. Auch weiter nördlich bei Radeberg wird ein Beben aufgezeichnet.

Der größte Felssturz seit Jahrzehnten

Nicht alles, was die seismischen Kurven tanzen lässt, rührt auch wirklich von einem Beben her: So etwa vor 15 Jahren, am 22. November 2000, in der Sächsischen Schweiz. Etwas unterhalb der Bastei am Wartturm, einem Kletterfelsen hoch über der Elbe, ereignet sich der größte Felssturz der vergangenen Jahrzehnte. Eine ganze Wand bricht ab. Mehr als 300 Kubikmeter Sandstein stürzen donnernd ins Tal. Die Ladung verfehlt nur knapp eine darunter befindliche Berghütte. Felsstürze und Steinschläge sind im sächsischen Mittelgebirgsraum keine Seltenheit – knapp 300 hat das Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie in den vergangenen zehn Jahren allein im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge gezählt. Manches davon könnte Reinhard Mittag sicher anhand der Schwingungskurven identifizieren. Der Wartturm ist nur der prominenteste Fall darunter.

Seismogramm vom Wartturm
Ein historisches Seismogramm: Der Felssturz am Wartturm wurde von der Erdbebenwarte in Berggießhübel aufgezeichnet. (Fotos: H. Landgraf/ Thomas Pöschmann)

War es überhaupt ein Felssturz? Woher will Mittag wissen, welche Art von Erschütterung ihm das Seismogramm auf dem Monitor vorspielt? Könnte es vielleicht auch andersherum gewesen sein? Was, wenn die Wellen in Wahrheit ein kleines lokales Erdbeben im Basteigebiet zeigen – eines wie im vergangenen September – in dessen Folge die womöglich schon lockere Felsplatte am Wartturm abbrach? Eine solche Erklärung wäre eine Sensation.

Aber sie ist aus wissenschaftlicher Sicht nicht haltbar. Das Geschehen und sein Zeitpunkt lassen sich anhand von Augenzeugenberichten präzise eingrenzen. Und ein Felssturz erzeugt eine ganz andere Art von Schwingung im Boden als ein Erdbeben. Anhand ihrer Charakteristik können Experten die beiden entsprechenden Seismogramme eindeutig voneinander unterscheiden. Der Wartturm, sagt Reinhard Mittag, war ein Felssturz – für ein Gebirge, wo Verwitterung und Schwerkraft aufeinandertreffen, also ein ganz normales Ereignis. Daran besteht kein Zweifel.

Im Vogtland könnte es mal heiß hergehen

Nicht für jede seiner Kurven hat der Geophysiker so plausible Erklärungen. Das Beben bei Radeberg beispielsweise gebe ihm noch Rätsel auf, sagt er. Was vielleicht auch daran liegt, dass sich Sachsens tektonisch aktivste Zone viel weiter im Westen befindet. Wenige Tage vor Weihnachten registriert das Observatorium südlich von Klingenthal ein Erdbeben mit einer Magnitude von 2,0 auf der Richterskala. Zuletzt gemessenes Maximum im Elbsandsteingebirge – fürs Vogtland aber ein vergleichsweise schwacher Wert! Vor 30 Jahren, am 21. Dezember 1985, wird Westsachsen von einem Beben der Stärke 4,6 erschüttert. Noch ein Jahrhundert früher ereignet sich 1872 an der Grenze zu Thüringen das größte bis heute bekannte Beben im mitteldeutschen Raum. Die Stöße erreichten vermutlich eine Stärke zwischen 5,2 und 5,5 – genau weiß man es nicht. Schuld an den Turbulenzen soll eine tektonische Störung in der Erdkruste zwischen Leipzig und Regensburg sein. „Wir nehmen an, dass dort von unten ein Magmakörper gegen die Kruste drückt“, sagt Reinhard Mittag. Möglicherweise wird das Vogtland wieder vulkanisch aktiv. Denkbar, dass die beiden größeren Beben der sächsischen Geschichte die Vorboten waren. Aus geologischer Sicht wird das nächste große Ereignis nicht lange auf sich warten lassen. Aber Geologen denken in anderen Zeiträumen. Es könnte bis dahin noch gut ein paar Jahrhunderte dauern.

2 Kommentare zu Warum im Elbtal die Erde bebt

  1. Ein gut geschriebener Beitrag.Der Felssturz führt zu Veränderungen im Kletterführer ;).Was lange überhängt wird auf dauer sowieso abstürzen.Sandstein ist dort auch nicht das beste Material.Was die Erdbewegungungen betrifft gebe ich dir vollkommen recht.Auf 1000 Jahre 1mm.Rechnet man es hoch sind bis zum Brechen genau 460 mm.Den Tagebau in der Lausitz würde ich nicht als unmittelbar heran führen.Im Kirnitschtal gabs eine Felssturz der wurde auf zu viel Wasser zurück geführt.Das Wasser Stand in einer Mulde und es kam Frost dazu.Der Block war 10 mal 10 Meter und wurde bestiegen 😉

  2. Wir können alles außer die Natur liebhaben.Es sind Natürliche Vorgänge wenn im Elbsandsteingebirge mal ein Felsen abrutscht.Das ist seit 1000 von Jahren so.Was nicht mehr Natürlich ist ist die Aroganz wie mit dieser Natur umgegangen wird.Das sind Lebensräume zur Erholung der Seele.Es muss nicht sein im Wald rum zu schreien,wenn ich in der Natur bin möchte ich entspannen.Die Probleme kann man durch Schilder auf sich Richten.Nur ich möchte meine Ruhe.

    Da gibt es wirklich Famielien die wie Rinderheeren nichts besseres zu tun haben als rum zu schreien.Das Verscheucht Wild und Vögel und das Vögeln sowieso.

    Entspannung ist der Weg des geringsten Widerstandes.Dazu gehört Natur zu respektieren und zu Schützen.

    Ruhe im Wald ist einfach geil…..

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*