Wunden nähen im Akkord

Im Operationszelt
Offene Wunden am laufenden Band - Anästhesist Rutker Stellke kommt kaum mal zum Durchatmen. Rund um die Uhr ist er im Sanitätslager des Alpinclubs Sachsen am Nähen und Verbinden. (Foto: Thinley Lama)

Sächsische Bergretter kämpfen in einem Dorf in Nepal um die Verletzten und Überlebenden des Erdbebens. Wie die ersten Bilder aus ihrem Camp zeigen, wird weiterhin jede Art von Hilfe dringend benötigt.

Gunsakot – so heißt ein kleiner Ort im Himalaya, etwa 50 Kilometer nordöstlich von Nepals Hauptstadt Kathmandu. Nicht weit von hier war am 25. April das Epizentrum des verheerenden Erdbebens, das die Region in eine riesige Trümmerlandschaft verwandelte und im ganzen Land mehr als 7000 Todesopfer gefordert hat. Inzwischen sind ausländische Rettungskräfte und Hilfsorganisationen auch in einige der schwer zugänglichen ländlichen Provinzen gelangt, wo die Lage aufgrund der mangelhaften Infrastruktur teilweise noch hoffnungsloser ist als in der Hauptstadt. In Gunsakot kämpfen seit einer Woche sächsische Bergretter in einem Zeltlager des Alpinclubs Sachsen um die Verletzten und Überlebenden der Katastrophe.

Im Rettungscamp
Für die Einwohner aus Gunsakot und den umliegenden Dörfern ist das Camp des Alpinclubs die einzige Möglichkeit, einen Arzt aufzusuchen. (Foto: Thinley Lama)

Gunsakot muss ein schöner und stiller kleiner Ort gewesen sein. Ein Dorf von vielleicht 500 Einwohnern in einem Seitenarm des Indrawati-Tals. Einstöckige Häuser mit flachen Wellblechdächern, umgeben von 3000 Meter hohen Bergen. Viel ist nicht davon übriggeblieben. „Das Dorf wurde komplett zerstört, die Häuser sind fast alle eingestürzt“, sagt Madlen Walter vom Alpinclub Sachsen. Vor den zwei blauen Verbandszelten der sächsischen Bergretter bilden sich tagtäglich lange Schlangen – Menschen schleppen ihre verletzten Angehörigen ins Camp, manche kommen von weit her zu Fuß gelaufen, weil nirgendwo sonst ein Arzt zu erreichen ist.

Die Sanitäts-Zelte des Alpinclubs
Die beiden Sanitäts-Zelte des Alpinclubs. Das Haus im Hintergrund ist eines der wenigen in Gunsakot, die das Erdbeben halbwegs überstanden haben. (Foto: Thinley Lama)

Anästhesist Rutker Stellke und seine drei Kameraden haben seit Tagen alle Hände voll zu tun, um die vielen Verletzten im Dorf zu versorgen. „Die nähen wie die Weltmeister“, sagt Madlen Walter. Gerade konnte das Team einem Mann mit einer seit 13 Tagen offenen Schädelfraktur das Leben retten. Das aus Deutschland mitgebrachte Verbandszeug ist inzwischen verbraucht, die Sachsen haben aber Material aus anderen Sanitätslagern besorgen können, sodass vorerst keine größeren Engpässe entstanden sind. Das Nothilfecamp soll noch bis Ende Mai weiterbetrieben werden. Inzwischen ist Verstärkung eingetroffen: Eine Röntgenassistentin aus Österreich hat kurzentschlossen ihre Hilfe angeboten, sie und eine zweite junge Frau aus Bayern werden das Camp gemeinsam mit den nepalesischen Helfern am Laufen halten, wenn die letzten beiden sächsischen Bergretter Ende nächster Woche abreisen müssen.

Bergretter helfen einem Mann mit Fußverletzung
Rutker Stellke (rechts) und Raphael Meßner (Mitte) kümmern sich um einen Mann mit einer Fußverletzung. (Foto: Thinley Lama)
Vor dem Zelteingang
Ein Mann schleppt seinen verletzten Angehörigen zum Stützpunkt der Sachsen. Vor dem Sanitätszelt hat sich eine riesige Schlange gebildet. (Foto: Thinley Lama)
Inmitten von Ruinen
Inmitten von Ruinen: Ein Mann hockt vor seinem provisorischen Unterschlupf. (Foto: Thinley Lama)

Die Lage in der Erdbebenregion bleibt angespannt. Vor drei Tagen hat es Berichten zufolge erneut ein schweres Nachbeben der Stärke 5,0 gegeben. Zudem steht der Monsun vor der Tür: Die Erdbebenhelfer rechnen in den nächsten Tagen mit schweren, langanhaltenden Niederschlägen und Schlammlawinen. Die meisten Leute in Gunsakot haben außer Zeltplanen oder ein paar behelfsmäßig zusammengezimmerten Wellblechen kein Dach überm Kopf. Der Alpinclub will seine gesammelten Spendengelder deshalb außer für den Betrieb des Camps auch für Lebensmittel und den Bau von Notunterkünften einsetzen. Gerade erst wurden 600 Paar Schuhe und säckeweise Arbeitshandschuhe aus der Hauptstadt beschafft. „Das Problem ist nämlich, dass sich die Leute beim Wiederaufbau ihrer Häuser immer wieder aufs Neue verletzen“, sagt Madlen Walter. Weitere Projekte sollen in Zusammenarbeit mit der nepalesischen Ngima Dawa Foundation folgen. Bislang seien rund 50000 Euro auf dem Spendenkonto eingegangen. –> zur Spendenaktion des Alpinclub Sachsen

Hilfsbereitschaft von allen Seiten

Viel Hilfsbereitschaft spüren auch die anderen sächsischen Bergsportorganisationen, die Geld für konkrete Einzelprojekte in der Erdbebenregion sammeln – etwa die Sächsische Himalaya Gesellschaft und der Dresdner Reiseveranstalter Trekkingwelten. Die Himalaya Gesellschaft will den Wiederaufbau einer Schule im Bergdorf Lumsa unterstützen. Die Aktion wird Mingma Sherpa, ein langjähriger Bergfreund der beiden Dresdner Alpinisten Götz Wiegand und Frank Meutzner, vor Ort koordinieren. –> zur Spendenaktion der Sächsischen Himalaya Gesellschaft

Trekking Welten sammelt Spenden u.a. für verschiedene Projekte der Dolpo Tulku Foundation und des Lischa Himalaya e.V. Von dem Geld werden zum Beispiel Krankenhausrechnungen und Medikamente von Erdbebenbetroffenen im Kathmandutal bezahlt. Die Projektpartner leisten in verschiedenen Orten Wiederaufbauhilfe. Außerdem wird ein Transport von dringend benötigten Hilfsgütern ins Gorkha-Gebiet unterstützt. –> zur Spendenaktion von Trekking Welten

Der Alpinclub wiederum erwägt für die Zukunft eine engere Zusammenarbeit mit der Dresdner Hilfsorganisation Arche Nova. Wichtig sei letztlich nicht wo, sondern dass überhaupt gespendet werde, sagt Madlen Walter. Nepal benötigt die Hilfe an allen Ecken und Enden. Erst recht, nachdem der erste Schock des Erdbebens und das damit verbundene Medieninteresse langsam abklingen. Denn aus eigener Kraft kann sich das bettelarme Land im Himalaya nicht aus seiner Misere aufrappeln.

In den Trümmern von Kathmandu
Eine Frau in den Trümmern von Kathmandu. (Foto: Thinley Lama)

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