Aus der Asche

Alle paar Monate schaut Dr. Annika Busse, wie sich die Natur in den Richterschlüchten verändert. Hier ging im Sommer 2022 ein ganzer Talkessel in Flammen auf. (Foto: Hartmut Landgraf)

Allmählich verschwinden die Spuren des Waldbrands vom Sommer 2022. In den Richterschlüchten wird´s wieder grün – die Natur kehrt zurück. Und manches, was nachkommt, gab´s hier noch nie.


Die Hölle vom Sommer 2022 wird allmählich wieder grün. Während die öffentlichen Debatten über den großen Waldbrand im Elbsandsteingebirge und seine Folgen wohl noch Jahre andauern werden, ist in den Richterschlüchten längst Gras darüber gewachsen. Und nicht nur das – auch jede Menge junge Bäumchen, die den Wanderern schon bald wieder über den Kopf reichen werden.


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Mit Unterstützung des Vereins der Freunde des Nationalparks Sächsische Schweiz

Welche Selbstheilungskräfte die Natur im Katastrophenfall aktiviert, ist wirklich bemerkenswert und inzwischen auch Gegenstand zahlreicher Forschungsprojekte. So hat sich mittlerweile der abgebrannte Teil des Tals in ein riesiges Freiluftlabor verwandelt, wo sich Wissenschaftler verschiedener Disziplinen tummeln.

Was sie dort versuchen herauszufinden, welche Tier- und Pflanzenarten schon auf die Brandfläche zurückgekehrt sind und welche Überraschungen die Natur dort bereithält, erfahrt ihr im Beitrag. Darunter gibt´s noch einen Tipp für alle, die es genauer wissen wollen.

Neustart in den Richterschlüchten

Im Sommer 2022 gingen bei einem Feuer im böhmischen und sächsischen Elbsandsteingebirge insgesamt 1146 Hektar Wald in Flammen auf – davon 115 Hektar auf der sächsischen Seite der Grenze. Schwerpunkt: die Richterschlüchte. Der Feuerwehreinsatz zog sich von Ende Juli bis Anfang September hin. Auf sächsischer Seite wurden im Zuge der Löscharbeiten 42 Kilometer Schlauchleitung verlegt, 3000 Einsatzkräfte von Feuerwehr, Bundespolizei und Bundeswehr kämpften wochenlang gegen die Flammen an. Es war der größte Waldbrand seit Jahrzehnten. Die Galerie zeigt eine Auswahl an Bildern, die im Zeitraum von zwei Jahren in den Richterschlüchten aufgenommen wurden: unmittelbar nach Ende des Katastrophenalarms im August 2022, ein halbes Jahr später im März 2023 und aktuell – im Juli 2024.

Oberer Teil der Richterschlüchte am 28. August 2022.
Zwei Jahre nach dem Feuer: Viele der jungen Birken auf der Brandfläche reichen Nationalpark-Forschungsreferentin Annika Busse schon wieder bis zum Hals.

 

Weg zur Wildnis

Wie regeneriert sich die Natur nach einem Waldbrand? Wer es etwas genauer wissen will, findet am Reitsteig – keine drei Kilometer von den Richterschlüchten entfernt – einen umweltpädagogischen Lehrpfad: den „Weg zur Wildnis“. Ein zweiteiliger Informationspfad, der auf 100 Metern über eine der Brandflächen vom Sommer 2022 führt. Anliegen ist es hier, fotografisch zu dokumentieren, wie sich ein neuer Wald entwickelt und diesen anhand von Bildern mit der Situation vor und unmittelbar nach dem Feuer zu vergleichen. Highlight ist eine kleine Plattform mit gutem Geländeüberblick und einer Selfiestation: #wegzurwildnis.


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Wenn Annika Busse beschreiben soll, was sich seit dem verheerenden Waldbrand vor zwei Jahren in den Richterschlüchten verändert hat, benutzt sie ein Wort aus dem IT-Bereich: „Reset“. Ein kompletter Neustart des Systems. Das romantische Landschaftsbild von früher existiert nicht mehr. Vom Wald am Ausgang der Schlucht, zwischen Krinitzgrab und Roßsteig, sind kaum mehr als ein paar verkohlte Stubben übrig. Wo sich einst ein lauschiger Pfad im Halbdunkel der Fichten dahinschlängelte, liegt das Tal heute offen wie eine Braunkohlegrube in der prallen Sonne. Nur die tiefer gelegenen Teile der Richterschlüchte blieben vom Feuer verschont. Insgesamt gingen im sächsischen Elbsandstein 115 Hektar Wald in Flammen auf.

Annika Busse im Juli 2024 auf der Brandfläche in den oberen Richterschlüchten. (Fotos: H. Landgraf)
Juli 2024: Die jungen Birken auf der Brandfläche reichen einem teils schon wieder bis zum Hals.

Doch damit endet die Geschichte nicht. Nach einer solchen Katastrophe dauert es meist nicht lange, bis neue Vegetation die entstandene Lücke schließt. Zehn Jahre vielleicht, höchstens 15. Längst hat die Natur in den Richterschlüchten begonnen zurückzuerobern, was ihr im Sommer 2022 verloren ging. Wer die Brandfläche heute besucht, findet sie an vielen Stellen überwuchert von saftigem Grün. Teils reicht einem das Gebüsch schon bis zum Hals. Überall recken sich junge Bäumchen zum Licht: Birken, Ebereschen, Buchen, Eichen, Kiefern und Fichten. Aus allen Ritzen sprießt neues Leben. „Als Erstes kommen die Arten zurück, die besonders mobil sind, also zum Beispiel flugfähige Samen haben“, sagt Annika Busse, die sich im Nationalpark Sächsische Schweiz um Forschungs- und Monitoringaufgaben kümmert. Alle paar Monate besucht sie die Brandflächen. Wie die Natur ihre Selbstheilungskräfte aktiviert, was sich dabei alles neu entwickelt und auf längere Sicht durchsetzt, ist eine spannende Frage. Und darum hat sich in den Richterschlüchten noch etwas anderes verändert: Das Tal ist heute ein riesiges Freiluftlabor für Wissenschaftler der unterschiedlichsten Fach- und Forschungsrichtungen.

Eine ungewohnte Situation auch für die Nationalpark- und Forstverwaltung. „Hier ist richtig was los“, sagt Annika Busse. Ein Dutzend Teams haben die Brandfläche ins Visier genommen: Experten für Nachtfalter, Spinnen, Grashüpfer, Vögel und Fledermäuse. Einige untersuchen die Ausbreitung von Pilzen. Andere sammeln Daten für eine Brandlastmodellierung. Wieder andere treiben Studien zum Mikroklima. Geländeparameter werden erfasst, Artenlisten erstellt. Für all das bietet der Waldbrand eine einmalige Chance. Auch der Nationalpark hofft auf neue Erkenntnisse. „Wir haben viele Wissenslücken“, lässt Annika Busse durchblicken.

August 2022

Bis diese sich schließen lassen, werden noch viele Monate vergehen. Eine erste größere Auswertung ist frühestens 2025 zu erwarten. Schon jetzt zeichnet sich aber die eine oder andere Überraschung ab. Birke, Adlerfarn und Fingerhut gehören nicht dazu. Doch manches, was auf den Brandflächen nachkommt, wurde in der Sächsischen Schweiz noch nie nachgewiesen. So fanden die Wissenschaftler in den Richterschlüchten z.B. zwei Pilzarten, die im Elbsandstein bis dato unbekannt waren – Arrhenia bryophtora und Bryopistillaria clavarioides. Außerdem wurde eine äußerst seltene Käferart entdeckt: der schwarze Kiefernprachtkäfer – ein echter Waldbrand-Spezialist! Wie Studien zeigen, kann das Insekt eine Brandfläche aus einer Distanz von bis zu 80 Kilometern wahrnehmen, und es gehört zu den Ersten, die sich – schon bald nach dem Abklingen des Feuers – inmitten von Asche und noch glutheißen Baumruinen neuen Lebensraum erobern. Sogar eine Gottesanbeterin wurde inzwischen im Nationalpark gesichtet – ein Zuwanderer aus südlicheren Gefilden.

Gesamtökologisch sei ein Feuer keine Katastrophe, sagt Annika Busse. „Auch wenn es sicherlich ein paar Jahrzehnte dauern wird, bis daraus wieder ein alter Wald wird wie ihn sich Besucher vorstellen.“ Die jungen Birken werden ein vergleichsweise kurzes Leben haben. Was danach kommt, lässt sich heute noch nicht sagen. Vielleicht wird hier mal die Buche dominieren – wie am Großen Winterberg. Oder es entwickelt sich ein buntes Durcheinander. Sicher ist nur: Die Natur kehrt zurück und spielt mit ihren Möglichkeiten. Und das soll sie ja auch im Nationalpark.

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