Alex Huber – Sicherheit kommt von innen

Große Zinne, Dolomiten, mit Kletterroute Direttissima, Alexander Huber
2002 klettert Alexander Huber die legendäre Hasse-Brandler an der Großen Zinne ohne Sicherung. Free-Solo ist für ihn die "reinste Form des Kletterns" und eine "ungeschminkte Auseinandersetzung zwischen Berg und Mensch". (Fotos: links Wikimedia Commons /rechts Frank Baldauf: www.baldaufundbaldauf.de)

Vor genau 60 Jahren bezwingen zwei Sachsen, Dietrich Hasse und Lothar Brandler, die berühmte Nordwand der Großen Zinne erstmals auf direktem Weg. Jahrzehnte später folgt ihnen jemand – völlig frei, ohne jede Sicherung: Alexander Huber. Wie fühlt sich das an, wenn das eigene Leben nur an den Fingerspitzen hängt? Und was hat das mit der Sächsischen Schweiz zu tun?

Es war ein Meilenstein in der Geschichte des Bergsteigens: Am 6. Juli 1958 steigen in den Dolomiten zwei Männer in die auf direktem Weg noch unbezwungene Nordwand der Großen Zinne ein. Mehr als 500 Meter senkrechter Fels – Neuland im Grenzbereich zwischen Leben und Tod. Vier Tage später ist die Seilschaft am Ziel ihrer Träume: Dietrich Hasse und Lothar Brandler – zwei Sachsen, die ihr Kletterkönnen im Elbsandsteingebirge gelernt haben. Zur vierköpfigen Seilschaft gehören außerdem Jörg Lehne und Siegi Löw. Jahrzehnte später macht sich ein Mann auf den Weg, es ihnen nachzutun. Allein. Ohne Sicherung. Alexander Huber klettert die berühmte Direttissima 2002 erstmals Free-Solo. Ein Gespräch über Abgründe, reine Nervenstärke und unbedingten Lebenswillen. Und über ein kleines Gebirge in Sachsen, wo diese Art des Kletterns seit jeher zum guten Stil gehört.

(c) Alexander Huber

„Wenn man die Angst verliert, verliert man an Konzentration. Und Konzentration ist die einzige wirkliche Lebensversicherung.“

Alexander Huber im Podcast.

 

Alex, du bist die Hasse-Brandler an der Großen Zinne als erster Mensch Free-Solo geklettert – ohne Sicherung. Das sind über 500 Meter steiler, teils überhängender Fels im VIII. Schwierigkeitsgrad. Mancher würde fragen: Wie lebensmüde muss man sein? Was war für dich der Reiz dabei?

Die Herausforderung liegt auf der Hand: Es ist die puristischste Art und Weise so eine Wand zu durchsteigen. Dass das nur mit entsprechender Vorbereitung funktioniert und intensiver Auseinandersetzung mit dem Thema, macht´s umso reizvoller. Es geht darum, etwas Unbekanntes zu erforschen – wie in der Wissenschaft. Ich wollte erforschen, wie es für mich funktioniert, so eine riesige, überhängende Wand ohne Sicherung zu klettern. Wo Sicherheit nur noch von innen kommt, vom eigenen Kletterkönnen und von der eigenen Mentalkraft.

Und wie war das für dich?

Man ist voll fokussiert, das Risiko ist ja mehr als offensichtlich. Man hat Angst, sein Leben zu verlieren. Wenn ich aber weiß, dass ich in der Lage bin, diese Schwierigkeiten zu dominieren, dann löst die Angst keine Panik aus, sondern reine Konzentration. Und wenn man dann klettert, reduziert sich die Welt auf die wenigen Quadratzentimeter des nächsten Griffes.

Felsgruppe im Abendlicht
Drei Majestäten des Bergsports im Abendlicht: Die Nordwände der Drei Zinnen in den Dolomiten. (Foto: Alex Hanicke)

Dieses Gefühl, dass dein Leben einzig und allein an deinen Fingerspitzen hängt, kann man das irgendwie weg-atmen?

Nein. Das soll man auch gar nicht weg-atmen. Denn wenn man die Angst verliert, verliert man an Konzentration. Und Konzentration ist die einzige wirkliche Lebensversicherung.

Du hast Free-Solo mal als „Klettern in seiner reinsten Form“ bezeichnet.

Ja, das kann man definitiv so sagen. Je weniger Hilfsmittel man benutzt, umso reiner wird das Klettern. Wenn man als Seilschaft klettert, muss man Karabiner einhängen und den Partner sichern. Es kommt vieles hinzu. Beim Free-Solo gibt es nichts anderes als reines Klettern.

„Beim Losklettern spürte ich den Druck, kämpfte mit den schwarzen Gedanken, stieg noch einmal zurück. Noch nie hatte ich eine derart hohe Intensität in den Bergen gespürt.“

Alexander Huber über die Hasse-Brandler >>> huberbuam.de

Wie wichtig ist der Wille über Grenzen zu gehen? Dinge zu tun, die noch keiner gemacht hat?

Der ist natürlich wichtig. Für Dietrich Hasse und Lothar Brandler ging es darum, diese Mauer überhaupt als erster Mensch zu klettern. Dafür braucht es Courage. Es geht darum, im richtigen Moment an das eigene Können zu glauben – und auch berechtigt daran zu glauben. Und für mich bestand der neue Horizont darin, aufs Seil zu verzichten.

Hasse und Brandler haben im Elbsandsteingebirge klettern gelernt. Ein kleines Gebiet – aber ein abenteuerliches. Wann hattest du das erste Mal Berührung mit den Felsen hier?

Mit Bernd Arnold. Ich war da mit einem Vortrag in der Gegend. Und wir sind den Tag draußen klettern gegangen. Das war wunderschön. Man taucht staunend in diese Welt der Türme ein. Das Gebiet ist ja nicht nur extrem schön, sondern auch herausfordernd vom Kletterstil. Beides zusammen macht das Elbsandsteingebirge zu etwas Besonderem.

Und welche Rolle spielt es in deinen Augen für den Klettersport generell?

Es ist mit Sicherheit eines der wichtigsten Klettergebiete der Geschichte und hat bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eine führende Rolle in der Welt gespielt. Natürlich ist inzwischen die Schwierigkeitsentwicklung in Sportklettergebieten wesentlich weiter fortgeschritten. Das hat einfach auch damit zu tun, dass man beim abenteuerlichen Kletterstil, der im Elbsandstein gepflegt wird, keine Kompromisse machen will. Und abgesehen von der reinen Schwierigkeit ist das Elbsandsteingebirge auf seine Weise auch heute noch etwas, was vorne mitspielt.

(c) Thomas Senf

Alexander Huber – live!

Am 23. September 2018 im Puppenspielhaus Hohnstein

„Die steile Welt der Berge“ – Der Extremkletterer zeigt seine schönsten und prägendsten Momente, die aus einem Zusammenspiel von Kreativität und Disziplin, aus gemeinsamen Zielen und bewussten Alleingängen entstehen. Beginn: 20 Uhr.

Kartenvorverkauf: Tickets zum Preis von 18 EUR gibt´s über Bergsport Arnold in Hohnstein: Tel. 035975-81246.

Gerade darüber wird in der sächsischen Kletterszene immer wieder heftig diskutiert. Teile der Szene finden, dass die Routen – zumindest einige – besser abgesichert werden sollten. Wie siehst du das? Würde das Elbsandsteingebirge dadurch seinen Reiz verlieren oder seine Seele aufs Spiel setzen?

Das würde ich tatsächlich so sehen, ja. Zum einen ist Sandstein generell nicht so gut für höchste Schwierigkeiten geeignet. Wenn man in moderne Sportklettergebiete schaut, was da für gewaltige Überhänge im Kalk geklettert werden, dafür ist Sandstein nicht so geeignet. Granit ebenfalls nicht. Dagegen ist es aber unheimlich sinnstiftend und inspirierend, wenn man im Sandstein und im Granit traditionell unterwegs ist. Deswegen sehe ich die Elbsandsteinkletterer auf dem richtigen Weg, dass ihnen die Klettergeschichte – diese einzigartige Klettergeschichte – des Gebirges wichtiger ist als die reine Höchstschwierigkeit.

Kletterer ungesichert am Fels über vergletscherter Landschaft
2006 – Alexander Huber klettert die Südwand des Dent du Géant (4013m) in der Mont-Blanc-Gruppe free solo. (Foto: Franz Hinterbrandner/Alexander Huber Collection)

Die Auseinandersetzung mit dem Risiko und dem Abenteuer ist aber nicht unbedingt der Bereich, aus dem der Klettersport seine größten Wachstumsimpulse bekommt.

Das kann man sicher so sagen. Aber die größten Wachstumsimpulse werden auch nicht aus dem Kalk heraus geboren. Sondern die sind derzeit in der Kletterhalle zu finden.

Eben…

Und das ist ja auch gut so und gehört gefördert. Ich persönlich bin über jeden Menschen froh, der seine Kiste hochbringt und einfach was tut und sich sportlich betätigt. Wenn man klettern geht, dann spürt man sich selbst: Man fühlt sein Gewicht. Man weiß, was Gelenke bedeuten und was Muskeln sind. Deswegen empfinde ich jeden, der in eine Kletterhalle geht, nicht als verlorenen Kletterer, sondern als gewonnenen Menschen, der einen Bezug zu seinem Körper hat.

Und wer ist in deinen Augen ein guter Kletterer? Einer, der für einen Glücksmoment im Leben alles riskiert? Oder einer, der es geschafft hat, mit seinem Sport alt zu werden?

Ein guter Kletterer ist jemand, der mit dem, was er tut, einfach glücklich ist. Erfolg ist etwas sehr Relatives. Es kann nicht jeder Olympiasieger werden. Es kann nicht jeder Weltmeister werden. Und – noch dazu – nicht jeder Weltmeister, nicht jeder Olympiasieger, wird mit seinem Leben glücklich. Der eine braucht zu seinem Glück im Bergsteigen einen Achttausender, wo er sich raufquälen kann. Der andere ist mit einer Wanderung im Mittelgebirge glücklich. Einer will den zehnten und elften Grad klettern. Ein anderer ist mit einer Genussroute im vierten und fünften Grad zufrieden. Jeder kann dort draußen in der Natur nach seiner Fasson glücklich werden. Unser Vater hat nie einen Achttausender bestiegen und nie den zehnten Grad geklettert, aber wenn er heute mit seinen 78 Jahren draußen in den Bergen unterwegs ist, dann sehe ich ein Leuchten in seinen Augen. Das sagt mir, dass er mit sich im Reinen ist. Was will man mehr erreichen? Welchen größeren Erfolg kann man denn haben im Leben?

Gespräch: Hartmut Landgraf

Bergsport und Risiko

Thema des Hohnsteiner Bergsommer-Abends!

6. und 7. Juli im Max-Jacob-Theater/Puppenspielhaus Hohnstein

  • Freitag, 20 Uhr: Bernd Arnold – Ein Grenzgang. Peter Brunnert stellt sein neuestes Buch vor.
  • Sonnabend, 20 Uhr: Risiko – Eine psychologische Betrachtung von Martin Schwiersch (Bergführer und Dipl. Psychologe) | Spiel an der Grenze – Ein Bilderbogen mit Andreas Dick und Musik von Uwe Hentzschel

Der Eintritt kostet an beiden Abenden 12 EUR.

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