Ein Freund nimmt Reißaus

Felslandschaft
Blick über den Wehlgrund zum "Vorderen Gansfelsen", im Hintergrund die "Lokomotive". (Fotos/Montage: Sven Legler, Bernd Arnold/sandsteinblogger.de)

Der Vordere Gansfelsen ist einer der bedeutendsten Gipfel im Elbsandsteingebirge – mit seiner großen Klettergeschichte und dem ebenso eindrucksvollen Panorama. Oben schaut man andächtig ins Land. Aber nicht immer ist Zeit dafür.

Text: Bernd Arnold

Es ist eine Binsenweisheit, – wenn man nichts tut oder tun kann, läuft dir der Körper weg. In etwa entspricht das meiner gegenwärtigen Situation. Wegen einer etwas komplizierten Rücken-OP war ich fast ganzjährig (2018) zum Stillhalten verurteilt. In einer solchen Lage nimmt man manchmal Zuflucht zu seinen Erinnerungen. Immerhin eine Gelegenheit zumindest gedanklich weiter zu klettern. Dem Vorschlag, daraus eine Serie mit dem Titel „Sandstein-Classics“ zu machen, nahm ich mich deshalb gerne an.

In den folgenden Monaten soll es hier um Felsen und Wege gehen, die für den Klettersport im Elbsandsteingebirge eine bedeutsame Rolle spielen. Das ist der rote Faden, denn es ist gut und nützlich, ihre Geschichte zu kennen. Andererseits habe ich zu den ausgewählten Wegen auch eine persönliche Beziehung, weil sie mich an Erlebnisse aus meiner Kletterzeit erinnern – gute wie schlechte. Und dabei geht es gar nicht immer ums Klettern selbst, nicht vordergründig jedenfalls, sondern es sind einfach unvergessliche Lebensmomente für mich.

Foto: Bernd Arnold

Großartige Türme

Entsprechend meiner momentanen Leistungsfähigkeit möchte ich mit einem leichten Weg beginnen: dem „Hartmannweg“ am Vorderen Gansfelsen im Rathener Gebiet. Natürlich gibt es noch mehrere Gründe, warum ich mir ausgerechnet diesen Weg für den Anfang auserkoren habe – also der Reihe nach:

1. Die Gansfelsen (vermutlich von slaw. „kamen“, der stattliche Stein*). Das markante Felsenriff zwischen Wehlgrund und Raaberkessel prägt das Bild des Rathener Felsengebietes. In meiner Vorstellung erinnern sie mich an die Vajolet-Türme in den Dolomiten, verkörpern also großartige Gipfel, auf denen sich ein Ankommen lohnt.

2. Die sonnenbeschienenen Südseiten sahen uns oft in etwas kühleren Übergangszeiten. Wobei der „Hartmannweg“ bei passendem Wetter oft ein Ziel für den Neujahrstag wurde.

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Kletterzugang GPX-Download
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3. Und dabei kam es zu einem einprägsamen Zwischenfall, durch den ich beinahe einen Freund verloren hätte: Neujahrstag, mildes „Winterwetter“, unsere Seilschaft bewegt sich als Endlos-Wurm über den Hartmannweg zum Gipfel. Nur Moritz, mein Hund und damals treuer Wegbegleiter, bleibt bei den Rucksäcken. Wir sind gerade in der Scharte vor dem „Hartmannkamin“ angekommen, als an der Basteibrücke einige verspätete Silvesterraketen gezündet werden – der Widerhall ist im ganzen Wehlgrund zu hören. Moritz gerät davon derart in Panik, dass er Reißaus nimmt und in blinder Angst davonläuft. Jetzt ist Eile geboten. Bei Kamin und Schlusswand drängt die Zeit. Wird Moritz wieder zurückfinden? Sein letztes Bellen vernehmen wir aus dem hintersten Wehlgrund, dann ist es still. Oben keine Gipfelrast. Die erhoffte Jahreserste ist ohnehin schon vergeben. Wir müssen schleunigst wieder runter, sonst ist der Hund über alle Berge. Wir seilen umgehend ab – aber es ist schon zu spät! Im Wald ist keine Spur mehr von Moritz zu finden. All unser Rufen und Suchen bleibt erfolglos. Es wird ein trauriger Tag – der sonst obligatorische Neujahrs-Kneipenbesuch fällt aus. Trotzdem nimmt die Geschichte aber dann doch noch ein gutes Ende: Am nächsten Morgen kann ich meinen Hund aus dem Tierheim in Krietzschwitz befreien. Was für eine Freude! Wen kümmert da schon eine verpasste Jahreserste.


Über den Hartmannweg

Historische Beschreibung nach Rudolf Fehrmann, 1908: „Einstieg an der Südwestwand des Felsens, nahe der Südecke. Auf dem griffreichen Rücken einer mächtigen, senkrecht stehenden Felsplatte schräg nach links empor, dann durch kurzes Kaminstück auf einen größeren Absatz. Nun gerade empor durch einen Zug von Spalten und schrofigen Rinnen zur Vorderen-Kleine-Gans-Scharte (im ersten Drittel am besten rechts, dann links, zuletzt wieder rechts haltend). Von da aus in etwa östlicher Richtung durch den Hartmannkamin, in dessen Einstieg einige Blöcke klemmen, auf eine größere, bewachsene Plattform. Eine kurze Wand mit großen künstlichen Stufen führt von da zur Spitze.“

Klettertipps (Bernd Arnold): Als Einstieg den linken Kamin benutzen und nach ca. 8 m nach rechts wechseln. Erster Stand im sandigen Kamingrund. 2. Stand auf breitem Band oberhalb des Pfeilers. Danach folgt die mögliche Schlüsselstelle, deren Absicherung ein großer Ufo ermöglicht. 3. Stand an Abseilöse (links). 4. Stand im Kamin bei großem Klemmblock. 5. Stand in der Gipfelscharte. 6. Stand auf dem Band vor der Schlusswand. In der Wandstelle sind noch zwei Knotenschlingen möglich. Die relativ kurzen Seillängen ermöglichen immer Sichtkontakt, vermeiden lautes Rufen und für alle Beteiligten ergeben sich nur kurze Wartezeiten.

Vom Eroberungsgeist getrieben

4. Bereits in meiner Anfängerzeit hatte ich eine Vorliebe für alte Erlebnisberichte, die mich zum Nacherleben anregten und dazu kommt noch die Tatsache, dass Friedrich Hartmann, ein früher Pionier des beginnenden Klettersports, in meiner Heimatstadt Hohnstein geboren wurde. Er selbst hat über sein Bergabenteuer folgendes geschrieben:

Besteigung des vordersten Felsens der Kleinen Gans (Friedrich Hartmann*) …Die Besteigung erfolgte in Gesellschaft des Herrn Kappmeyer und eines meiner Söhne am 11.Juli 1886…Wir schritten vom Amselgrunde aus aufwärts durch den Wald, gerade auf den Felsen zu…und kletterten auf einen scharfkantigen Felsrücken bis zu einer etwa 10 m hoch stehenden Kiefer und von hier in einer reichlich ½ m breiten Felsrinne, deren Sohle mit Sandboden ausgefüllt ist, weiter aufwärts bis auf einen mit Rasen bewachsenen kleinen Sattel. Von hier aus übersahen wir rechts blickend die sich hinaufziehende Schlucht…. Ich kehrte daher nochmals zum Fuße des Felsens zurück, holte die unten abgelegten Seile, Werkzeuge, Fahnenstange und übrigen Utensilien nach und ließ mich mit Hilfe des von oben herabgelassenen Seiles wieder emporziehen… Um zunächst auf einer steil abgeböschten Felswand weiter aufwärts zu gelangen, setzten wir die von mir neu angeschaffte Mauerspitze in Tätigkeit, spitzen Stufen resp. Löcher als Handhabe ein und gelangten so auf ein schmales Felsenbankett. Von hier aus kletterte Herr Kappmeyer mit bekannter Gewandtheit, wie ein Schornsteinfeger, in einer senkrechten Spalte aufwärts…

Eine Seilschaft im Hartmannweg – historische Postkarte. (Archiv: B.Arnold)

Die Erstbegeher:

Friedrich Hartmann (Fritz) geb. 1838 in Hohnstein, gest. 1912 in Neubabelsberg. Er studierte in Dresden und arbeitete als  Architekt und Baumeister. 1882 trat er dem Gebirgsverein Sächsische Schweiz bei und übernahm verschiedene Leitungsfunktionen. Seine Schilderungen „Kletterpartien, die mit Lebensgefahr verbunden sind“ in der Zeitschrift „Ueber Berg und Thal“ (Nr. 5/1886) waren die ersten dieser Art. Erstbesteigungen (mit künstl. Hilfsmitteln): 1885 Storchennest, 1886 Vorderer Gansfelsen, Lokomotive-Domgipfel.

Robert Kappmeyer geb. 1834 in Brieg bei Breslau, gest. 1902 in Dresden. Beruflich war er Steinmetzmeister und an vielen Kirchenbauten beteiligt. Ab 1882 gehörte er dem Gebirgsverein Sächsische Schweiz an. 1886 durchstieg er den Kappmeyerweg am Talwächter (mit künstl. Hilfsmitteln).

Wer gern mehr über diese und andere Geschichten aus der Pionierzeit des Kletterns erfahren will, dem sei hier „Alte Kunde von ersten Kletterfahrten im Sächsischen Felsengebirge“ von Dr. Waldemar Pfeilschmidt (Der Bergsteiger. Heft 4, Dresden 1925) empfohlen. Natürlich ist diese Besteigung, aus unserem heutigen Verständnis heraus, keine wirklich klettersportliche Tat. Die Herren Hartmann und Kappmeyer waren primär vom Eroberungsgeist (oben ankommen) getrieben und handelten auch entsprechend. Es fehlte noch an sportlichen Vorbildern, denn Besteigungen ohne Hilfsmittel, wie Mönch-Ostweg (Otto Ewald Ufer, H. Frick, 1874) und Nonne-Alter Weg (Hermann Fischer, H. Kurze, T. Lierke, A. Matthäi, 1888) waren noch besondere Ausnahmen.

Der Hang zur Historie ist mir anzumerken. Beim nächsten Mal geht es über den „Schusterweg“ auf den Talwächter.

Berg Heil!

 

 

 

Fortsetzung folgt: 15. Februar 2019

*Quellen:

    • „Die Namen unserer Klettergipfel“, H. Pankotsch, D. Heinicke SBB 2013
    • „Alte Kunde von ersten Kletterfahrten im Sächsischen Felsengebirge“, Dr. W. Pfeilschidt, Der Bergsteiger Heft 4/1925
    • „Personen- und Klublexikon“, Kerstin und Michael Schindler, SBB 2014

Bislang sind erschienen:


    1. Hartmannweg am Vorderen Gansfelsen
    2. Schusterweg am Talwächter >>> zum Beitrag
    3. Weinertwand am Vexierturm >>> zum Beitrag
    4. Große Hunskirche >>> zum Beitrag

1 Kommentar zu Ein Freund nimmt Reißaus

  1. Liebevoll geschrieben! Lasst uns die Leistungen der Erschließer nicht vergessen und auch immer mal wieder die alten Wege durchsteigen. Mancher junge Heißsporn wird staunen, wieviel Mut dazu gehört, spärlich gesichert den einen oder anderen Weg zu meistern.

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