Früh ans Herz gewachsen

verschneiter Felsen im Wald
Blick auf den Talwächter, vom Höllenhund aus fotografiert. (Fotos/Montage: Sven Legler, Hartmut Landgraf/sandsteinblogger.de)

Der Talwächter zieht alle Blicke auf sich – imposant und stattlich wie eine Burg thront er über dem Kurort Rathen. Viele bedeutende Wege führen auf seinen Gipfel. Und manche davon vergisst man sein Leben nicht.

Text: Bernd Arnold

Wer von Rathen kommt und in den Amselgrund einbiegt, dessen Blick bleibt unweigerlich am Talwächter hängen. Imposant und stattlich drängt er sich dem Auge regelrecht auf. Kein Wunder also, dass er schon früh ein Kletterziel wurde, erstbestiegen 1874 von Otto Ewald Ufer – damals noch mit künstlichen Hilfsmitteln.

Für Aufsehen sorgte der Felsen allerdings nicht erst unter den frühen Kletterpionieren, sondern schon bei den Malern des 19. Jahrhunderts: in der Kunstphase der Romantik. Caspar David Friedrich diente er mehrfach als Motiv. Damals nannte man ihn noch Feldstein, später, sicherlich wegen seiner Unnahbarkeit, wurde es der Jungfernstein. Der heutige Name Talwächter wurde erst nach 1900 allgemein üblich.*

Verschneite Landschaft mit Felsen, Dörfern und Wäldern
Freie Sicht bis zum Winterberg, davor – in der Ferne – die Felsen der Schrammsteinkette. Ganz vorn der Talwächter. (Foto: Hartmut Landgraf)

Zuschauer einer Erstbegehung

Meine erste Begegnung mit diesem Felsen liegt fast 60 Jahre zurück – ich war damals dreizehn, ein Schulkind. Es war der 21. Mai 1960. Eigentlich wollte ich an diesem Tage über einen leichten Weg allein zum Gipfel, doch die Geschehnisse hielten mich davon ab. Denn am Talwächter wurde ich unversehens Zuschauer einer eindrucksvollen Unternehmung – der Erstbegehung des „Gewitterweges“. Mit Spannung und Ehrfurcht verfolgte ich damals das meisterliche Tun der Seilschaft Horst Umlauft, Gudrun Kowol, Herbert Schwarz. Eine Menge gab es dabei für mich zu lernen, das Wichtigste war der Zwischenstand, das Verhalten der Seilschaft am Sicherungsring.  Die Gipfelbesteigung über den Uferweg holte ich an einem späteren Ferientag nach – ohne dass mich dabei viele kritische Augenpaare beobachteten.

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Kletterzugang GPX-Download
Hier könnt ihr euch mit einem Klick die Route zum Felsen direkt aufs Smartphone laden. Vor dem Download bitte eine Outdoor-App installieren, z.B. outdooractive oder komoot.

Auch unabhängig von diesem Erlebnis sind mir die Rathener Felsen schon sehr früh ans Herz gewachsen. Bei meiner Großmutter Liesbeth, im Haus „Basteiblick“ auf der linken Elbseite,  verbrachte ich viel Zeit meiner Kindheit und malte oft, auf dem Balkon sitzend, die gegenüberliegende Felsenwelt. Als ich mit dem Klettern begann, war hier der nahe Laasenstein  ein von mir oft aufgesuchter Gipfel (damals noch ohne Buch), danach folgten Nonne und Rauensteinturm. Etwas später wechselte ich bei meinen Soloausflügen auf die andere Elbseite, wobei sich die beiden Feldköpfe mit ihren flachen Rückseiten besonders anboten.

Am Talwächter gibt es mehrere Wege, die echte Klassiker sind – etwa der „Pfeilerweg“ (1905, Rudolf Fehrmann, O. Perry-Smith, H. Schwede) oder die „Ostkante“ (1916, Erhard Renger und Gefährten). Als bekennender Verehrer von Dr. Oscar Schuster habe ich mich hier jedoch für den Schusterweg entschieden. Sein prominenter Namensvetter am Falkenstein bedarf keiner besonderen Empfehlung, aber der Schusterweg am Talwächter, nicht minder interessant, dürfte weit weniger bekannt sein.

Oscar Schuster selbst schreibt darüber in seinem Tagebuch: „Jungfernstein (Talwächter). Erste Begehung des Schusterweges. Donnerstag, den 28. Dezember 1893, mit Conrad und Friedrich Meurer bei schönem, aber ziemlich kaltem Wetter nach Rathen. Dort gleich zum Jungfernstein, wo zunächst eine kleine Frühstücksrast gehalten. Gegen 9 Uhr erfolgte der Anstieg. Wir fanden einen neuen Anstieg, zugleich war es die erste Ersteigung des Felsens ohne künstliche Hilfsmittel: Zunächst die lange Schlucht in der Richtung von Ost nach West durchklettert bis zu ihrem höchsten Punkt. Nun kommt das Schwierigste Stück. Man traversiert über eine glatte, exponierte Stelle scharf aufwärts nach rechts (Norden). Diese Kletterei brachte uns in einen Kamin, der wirklich von unheimlicher Engigkeit ist. Ich entledige mich des Rockes und der Weste. Die ersten paar Schritte muß man ganz auf der Außenseite des Kamines machen, später ist es möglich, in denselben hereinzugehen. Nachdem ich etwa 20 Meter schwer kletternd zurückgelegt hatte, wurde der Kamin ganz breit. Es folgten die beiden Meurers, die sich durchs Seil gesichert, fast immer auf der westlichen Kante des Kamins hielten…“

Wer dieses Abenteuer bis zum Ende verfolgen will, dem sei der „Bergsteiger“ Heft 2/1922, mit dem Beitrag „Aus Oscar Schusters Tagebüchern“ (Dr. Waldemar Pfeilschmidt) empfohlen. Noch lebendiger kann man es nur auf eine Weise erleben – beim Klettern.

Im März geht es hier mit einem besonders herausragenden Meilenstein weiter: der Weinertwand am Vexierturm.  Hoffen wir, dass es dann bereits frühlinghaft sein wird.

Berg Heil!

 

 

 

 

Fortsetzung folgt: 15. März 2019

*Quellen:

  • „Die Namen unserer Klettergipfel“, H. Pankotsch, D. Heinicke SBB 2013
  • „Aus Oscar Schusters Tagebüchern“, Dr. W. Pfeilschmidt 1922
  • Monografie „Oscar Schuster“, Joachim Schindler SBB 2013
  • „Der Bergsteiger in der Sächsischen Schweiz“, Dr. R. Fehrmann 1908

Bislang sind erschienen:

    1. Hartmannweg am Vorderen Gansfelsen >>> zum Beitrag
    2. Schusterweg am Talwächter
    3. Weinertwand am Vexierturm >>> zum Beitrag
    4. Große Hunskirche >>> zum Beitrag

Quelle: Rudolf Fehrmann, Der Bergsteiger in der Sächsischen Schweiz, 1908

Über den Schusterweg

Historische Beschreibung nach Rudolf Fehrmann, 1908: „Von Osten her durch die Kluft, die den Nordflügel durchschneidet, oder unmittelbar von Westen her zu der Plattform an der Westseite. Von da an der Westwand in plattiger Rinne schräg nach links (also nordwärts) empor zum Beginn eines engen glatten Spaltes. Diesen hinauf; wo er sich stark erweitert, geht man nach innen, um durch eine rechts (südlich) abzweigende Rinne zu der kleinen Einschartung zu gehen, in die auch die Wege c, d, e (Uferweg, Kappmeierweg, Silvesterweg) münden. Von da über leichte Platten zum Gipfel.

Klettertipps (Bernd Arnold): Am Einstieg sandiger Boden, deshalb Klettergummi vom Sand säubern. Den Kamin ziemlich tief durchspreizen und erst am Ende auf den pfeilerartigen Absatz an der Westseite hochsteigen. Standplatz mit Köpfelschlinge. Nun ca. 3 m zu breitem Band absteigen. Erneut Sand mit Sanduhr. Über die schräge Wand nach links zum Kaminbeginn (großer Knoten oder Ufo – wegen Seilzug gut verlängern), danach gibt es im Kamin noch eine große Plattenschlinge. Oben den Kamin nach innen zum „Kappmeierweg“. Der Kamin kann hier auch nach rechts, über die Wand (Sanduhr) zur Einschartung rechts vom Pfeiler (Stand), verlassen werden.

Die Erstbegeher:

Schuster Oskar
Oscar Schuster. (Foto: Wikimedia Commons)
Dr. Oscar Schuster* geb. 1873 in Markneukirchen, gest. 1917 in Astrachan (Russland) /Internierungslager. Als Sohn einer begüterten Kaufmannsfamilie kam er bereits als 15-Jähriger durch einen Schulbesuch in der Schweiz (Alpines Pädagogium Fridericianum Davos) mit dem Bergsteigen in Berührung. In Dresden besuchte er danach die Kreuzschule. Schuster: „Meine ersten Touren in der Sächsischen Schweiz spielten sich in dem Gebiet um den Friedrich-August-Stein bei der Schweizermühle im Bielatal ab. Es handelte sich hier teilweise nicht um Neubesteigungen von Türmen, sondern größtenteils um Begehungen an Wänden. Die ersten Touren in diesem Gebiet habe ich etwas 1890 gemacht“.
Im gleichen Jahr bestieg er das Matterhorn und den Monte Rosa. Sein Medizinstudium, welches ihn an mehrere Universitäten führte, schloss er in Kiel erfolgreich ab. Bei späteren Studien erwarb er sich Kenntnisse über Philosophie und Psychologie. Die wirtschaftliche Situation seiner Familie gestattete es ihm, über große Zeiträume in der Sächsischen Schweiz, in den Alpen, in Norwegen und dem Kaukasus unterwegs zu sein.

Kletterlegende Oscar Schuster an der Brosinnadel
Oscar Schuster, hier im Jahr 1902 an der Brosinnadel fotografiert. Zur rustikalen Kletterausrüstung der damaligen Zeit gehörten Seile und Kletterschuhsohlen aus Hanf. (Foto: Oswin Flößner/Sammlung Joachim Schindler, Dresden)

Im Elbsandsteingebirge beteiligte er sich an 94 Neutouren. In den Alpen führte er 725 Bergtouren aus, darunter die erste Skibesteigung eines Viertausenders (Monte Rosa). Seine exakten Tagebuchaufzeichnungen, gepaart mit seinen vielseitigen wissenschaftlichen Kenntnissen, machten ihn zu einem anerkannter Bergschriftsteller.  Er war Gründungsmitglied der „Falkensteiner 1895“, gehörte mehreren Alpensektionen an und war Ehrenmitglied im ÖAK.

Rudolf Fehrmann schrieb über Schuster: „…er hatte bereits zu Anfang dieses Jahrhunderts einen Kletterführer durchs Elbsandsteingebirge entworfen und fast zur Druckreife vollendet. Aus Besorgnis, den heimischen Bergsport dadurch mehr als wünschenswert gemein zu machen, sah er aber, dem Ende aller Arbeit schon nahe, von einer Veröffentlichung ab. Diese Bedachtsamkeit ist für den Menschen Schuster nicht weniger bezeichnend als die selbstverleugnende Sachlichkeit, mit der er mir, der ich sein Bedenken nicht teilte, später seinen Entwurf zu unbeschränkter Benutzung bei der Ausarbeitung meines Kletterführers überließ; ohne diese ausgiebige Hilfe wäre meine Arbeit ein unzulängliches Bruchstück geblieben. Ebenso selbstlos und jedes Neides bar erkannte Schuster die Fortschritte an, um die nach seiner eigenen Glanzzeit die Kletterkunst von anderen Meistern weitergeführt wurde.“

Conrad Meurer* geb. 1872 in Pirna, gest. 1947 in Dresden-Pillnitz. Gründer und Mitinhaber der Firma G. Meurer Eisen- und Blechwarenfabrik. Er war wie Schuster Gründungsmitglied der „Falkensteiner 1895“, ab 1896 im DuÖAV Sektion Dresden organisiert. Erstbesteigungen: Viererturm (1891 und Winklerturm (1894). Beide Brüder zählten zum engeren Schusterschen Kreis im Elbsandsteingebirge.

Friedrich Meurer* geb. 1873 in Dresden, gest. 1945 in Hof. Studierte Elektrotechnik und war Direktor im Familienbetrieb. Ebenfalls Gründungsmitglied der „Falkensteiner 1895“, 1896 DuÖAV Sektion Dresden, ab 1926 ASD, ab 1939 SBB. Nach ihm und seinem Bruder wurde 1894 der Meurerturm benannt. Erstbesteigungen: Jortanshorn 1893), Jägerhorn (1888), Zuckerhut (1894), Kesselturm (1898). Mehrere Alpentouren, so mit seinem Vater Siegfried Meurer, die Erstbesteigung Punta della Madonna/Dolomiten (1893).

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