Zurück ins Leben

Fotograf Rico mit Kamera und Stativ auf dem Gamrig
Auf dem Gamrig, seinem Lieblingsfelsen, verbringt Rico Richter viel Zeit hinter der Kamera - zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter. (Foto: Hartmut Landgraf)

Im Kampf mit seiner schweren Krankheit entdeckt Rico Richter die Schönheit seiner Elbsandstein-Heimat und wird zu dem, was er heute ist – ein begeisterter Landschaftsfotograf. Eine Geschichte über den Mut, sich nicht aufzugeben. Und über eine Leidenschaft, die stärker war als der Krebs.

Als Rico Richter den Fernauslöser der Kamera betätigt, scheint für einen Moment die Zeit stillzustehen. Langzeitbelichtung, 30 Sekunden. Eine halbe Schweigeminute. Vor Jahren hatte der junge Mann hier schon einmal ein Bild gemacht. Es war ein anderer Tag damals, anderes Wetter, ein goldener Abend im September. Herbstlicht, die Sonne warf aus dem Westen einen letzten wehmütigen Blick auf das Elbtal und die Felsen der Sächsischen Schweiz. Bilder des Abschieds. Doch es wurde keiner. Im Gegenteil: Hier auf dem Gamrig fand Rico Richter die Kraft zu kämpfen – und neuen Lebensmut.

Das alles ist fünf Jahre her. Nur ein einziges Mal muss er jetzt noch zum Arzt – diesen März. Wird bei der Untersuchung nichts gefunden, hat er es überstanden und gilt als geheilt. Rico Richter hatte Krebs. Einen bösartigen Tumor und womöglich Metastasen. Als ihm die niederschmetternde Diagnose gestellt wird, ist er gerade 21 Jahre alt, fast noch ein Teenager, unbelastet von Sorgen und vom Ernst des Lebens. Fußball. E-Gitarre. Kumpels. Ein nicht sonderlich geliebter Job als Chemielaborant. „Mein Tag bestand aus Computer spielen und die Zeit totschlagen“, erinnert er sich. Das alles ändert sich schlagartig an jenem Tag, an dem Rico zum ersten Mal mit Schmerzen zum Urologen geht. Wenige Wochen später hat er die Gewissheit. Das sei nichts Gutes, sagt der Arzt. Die Tragweite wird dem jungen Mann erst allmählich bewusst. Und dann beginnt er zu spüren, dass Zeit im Grunde alles ist, was ihm bleibt – sein kostbarster Besitz.

Rico über den Lichtern von Rathen
Mit der Fotografie kehrte das Licht in Ricos Leben zurück – wie hier auf dem Gamrig. Im Hintergrund ist das nächtliche Rathen zu sehen. (Foto: Hartmut Landgraf)
Rico im Krankenhaus
Die schwerste Zeit seines Lebens – Rico im Krankenhaus. (Foto: privat)

Es ist still auf dem Gamrig. Der verspätete Winter hat den Felsen in weiße Watte gepackt, unten im Tal funkeln die Laternen von Rathen wie Inseln in einem Meer aus Dunkelheit. Hier oben hat Rico Richter damals mit dem Fotografieren angefangen. Eine vorher kaum genutzte Kamera wird seine wichtigste Waffe im täglichen Kampf mit der Krankheit – vielleicht sogar wichtiger als die Chemotherapie, die er wegen der schweren Nebenwirkungen vorzeitig abbrechen muss. „Mir war von früh bis abends bloß noch schlecht. Ich bekam eine Kehlkopfentzündung, konnte kaum reden und schlucken, hatte Nasenbluten ohne Ende“, erinnert sich Rico. Seinen Job muss er aufgeben, den Gedanken an ein Fachabitur und den Weg an die Hochschule lässt er fallen. Wenn einem die Zukunft nichts mehr verspricht, ist es vielleicht besser, sie aus den Augen zu verlieren. „Es war so, als ob alles mit einem Mal wie ein Kartenhaus zusammenbricht.“

Doch der mächtige Sog vom ungewissen Morgen zum Hier und Jetzt verbindet Rico Richter auf ganz unerwartete Weise wieder mit dem Leben – und macht ihm andere Horizonte bewusst: seine Elbsandstein-Heimat. Aufgewachsen in Porschdorf, hat er sich früher nie besonders für die Landschaft und die atemberaubende Schönheit vor seiner Haustür interessiert, plötzlich gehen ihm die Augen über. Er sieht Perspektiven, von denen er bis dahin nichts wusste: Auf dem Gamrig und alsbald auch auf dem Lilienstein und Pfaffenstein entdeckt er eine neue Welt – die Landschaftsfotografie. Weil es nichts anderes für ihn zu tun gibt, stürzt sich Rico mit geradezu unbändiger Leidenschaft in sein neues Hobby. Er verschlingt Fotobücher, lässt sich von Freunden in die handwerklichen Geheimnisse einweihen, fängt an selbst zu experimentieren – zieht plötzlich bei jedem Wetter oder zu den unmöglichsten Zeiten in die Berge und merkt bald, dass er für die Sache nicht nur Begeisterung mitbringt, sondern auch Talent. Über seine Fanpage bei Facebook, wo er die Früchte seiner Elbsandstein-Fototouren teilt, bekommt er viel positives Feedback, was ihn zusätzlich motiviert. Und bald finden seine Bilder erste Abnehmer: Hotels und Arztpraxen zeigen Interesse – auch der Tourismusverband wird auf ihn aufmerksam.

Der Gamrig im Abendlicht - Ricos erstes Foto
Der Gamrig im Abendlicht – Ricos erstes Foto. Dieser besondere Moment vor knapp fünf Jahren hat in ihm die Lust an der Landschaftsfotografie geweckt. (Foto: Rico Richter/elbsandsteinbilder.de)
Die Liliensteinkiefer
Sonnenaufgang auf dem Lilienstein – dieses Foto gehört zu Rico Richters besten Arbeiten. Ein Bild, dass einem so nur einmal im Leben gelingt, sagt er selbst. (Foto: Rico Richter/elbsandsteinbilder.de)
Weighnachtsmann im Schnee
An Ideen mangelt es Rico nicht: Als Weihnachtsmann auf dem tief verschneiten Gamrig. Das Foto war im Dezember 2015 bei Facebook ein Renner. (Foto: Rico Richter/elbsandsteinbilder.de)
Rico am Tropf
Zwischen Hoffen und Bangen… (Foto: privat)

Der Kampf gegen den Krebs aber geht unvermindert weiter. Nach der Chemotherapie kommen permanente Nachuntersuchungen. Blutabnehmen. Computer-Tomographie. Einmal finden die Ärzte verdächtige Symptome in Ricos Lunge. Sie verschwinden wieder, aber der junge Mann wandert zwei Jahre lang beständig über einen Grat zwischen Hoffen und Bangen. Rico versucht die Gedanken auszublenden, auf andere wirkt er optimistisch und gefasst. Doch es dauert lange, bis sich das Gefühl einstellt, es vielleicht – zu schaffen. Nach fünf Jahren, so heißt es, kann man das sagen. An diesem Punkt ist Rico Richter jetzt.

Es ist dunkel geworden auf dem Gamrig, der Weg zurück ins Tal ist mit bloßem Auge kaum noch zu erkennen. Rico holt eine Lampe aus dem Rucksack – doch eigentlich braucht er sie hier nicht. Er hat längst aufgehört zu zählen, wie oft er in den letzten Jahren auf diesem Felsen war. Es ist einer seiner Lieblingsplätze in der Sächsischen Schweiz geworden. Richtung Westen kann man bei gutem Wetter weit ins Elbtal hinab blicken. Und gleich hinter der Hügelkuppe im Osten liegt sein Heimatdorf. Hier oben auf dem blanken Sandstein ist Rico Richter gesund geworden – und zu dem, was er heute ist: einer der aktivsten Landschaftsfotografen in der Region. Inzwischen hat er auch einen neuen Job als Bürokaufmann und kann wieder Pläne für die Zukunft schmieden. „Wo eine Tür zugeht, gehen zwei andere auf“, sagt er heute. Es sind keine Weisheiten eines jungen Mannes, sondern Worte, die Narben tragen. Rico sagt sie, um anderen Mut zu machen, die das gleiche Los ereilt. Der Satz soll heißen: Gebt euch nicht auf! Lasst das Leben rein! Wann immer euch das Herz und die Gedanken schwer werden, steckt die Nase in den Wind! Und vielleicht bringt ihr dann ein paar Fotos mit nach Hause.

 

Veranstaltungstipp

Lichtbildervortrag von Matthias Menge und Rico Richter

16. April 2016, 20 Uhr im Nationalparkzentrum Bad Schandau

Ricos Elbsandsteinbilder findet ihr auch im Internet >>> elbsandsteinbilder.de

Oder bei Facebook >>> facebook.com/Elbsandsteinbilder

7 Kommentare zu Zurück ins Leben

  1. Vielen Dank für Ihre wunderschönen, stimmungsvollen Bilder. Mich hat’s an den Niederrhein verschlagen und durch Ihre Fotos ist mir meine Heimat immer wieder nah. Ich komme gebürtig aus Oelsen. LIEBE GRÜSSE UND WEITERHIN GESUNDHEIT,KRAFT UND ZUVERSICHT. Marlies Gerads

  2. Lieber Rico. Das kann ich mir sehr gut vorstellen, dass der Gamrig heilsam wirkt. Mir kommt er auch immer fast schon magisch vor. Mich zieht es wahnsinnig hoch – runter will ich am Besten gar nicht mehr! Alles Gute, viel Gesundheit und weiterhin so tolle Bilder! Lg Sandra

  3. Die Geschichte kommt mir sehr bekannt vor. Bei mir sind die 5 Jahre seit knapp 15 Jahren rum. Ich drücke alle verfügbaren Daumen und wünsche alles Gute für die Zukunft.

  4. Am Dienstag war der Tag 🙂 Alles OK ? Einzig ein Wert ist schlecht, aber daran bin ich wohl selbst schuld 😉 Ist auch nicht so tragisch.

    Ich hoffe das ich vielen Menschen Mut machen kann. Es geht immer irgendwie weiter. Frohe Ostern 🙂

    Danke Hartmut für den Bericht. War doch ein schöner Abend.

  5. Nun ist der Beitrag ja schon ein Jahr her. Vor einem Monat wurde bei mir wieder etwas entdeckt bzw. ich hab es selbst entdeckt. Am Freitag lag ich dann unterm Messer. Der Knoten hat sich aber zum Glück als etwas harmloses erwiesen, da fiel mir erst mal ein Stein vom Herzen.

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  1. Mein Jahresrückblick 1.Teil – Elbsandsteinbilder

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