Eingeschneit mit Peter Brunnert

Hütte im Schnee, eingeblendet ein Buch
Småland im Winter - der beste Ort, um ein gutes Buch zu lesen. (Foto/Montage: Hartmut Landgraf)

Der Grenzgang aus Hildesheim: Peter Brunnert wird ernst. Mit dem Buch über Sachsens Ausnahmekletterer Bernd Arnold ist ihm das authentische Portrait eines Menschen und seiner Zeit gelungen. Lesestoff für die einsame Insel – oder den schwedischen Winter.

Buchcover
Bernd Arnold – Ein Grenzgang
von Peter Brunnert
Panico Alpinverlag 2017
267 Seiten
ISBN: 978-3-95611-080-1
29,80 EUR
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Gib mir irgendwas, das bleibt, heißt es in einem Lied der Bautzener Rockband Silbermond. Auf Peter Brunnerts Berggeschichten war in dieser Hinsicht bisher immer Verlass – sie  mussten einfach nur Spaß machen. Haben sie auch. Nun kommt plötzlich der Ernst hinzu. Mit seinem neuen Buch „Bernd Arnold. Ein Grenzgang“ wechselt der Hildesheimer Kultautor ungeniert aus der leichtverdaulichen Klettersatire ins schwergewichtige Alpin-Genre. Und das geht bemerkenswert gut aus. Dazu gleich mehr.

Vorangestellt sei, dass es freilich auch kein Gesetz dafür gibt, wie sich Rezensionen zu verhalten haben. Und so erlaubt sich diese die Freiheit, den ihr zugedachten Rahmen ebenfalls zu verlassen und stellenweise Formen anzunehmen, die wohl eher in den Zuständigkeitsbereich anderer Textklassen fallen – der Reportage zum Beispiel. Aber Lektüre geschieht ja nicht im luftleeren Raum, sondern in einem Umfeld. Und dieses kann die Wahrnehmung des Lesers entweder verbessern oder trüben. Peter Brunnerts Buch war zugegebenermaßen in einer Pole-Position: Weihnachten 2017 in Småland. Eine Hütte an einem stillen Waldsee. Der Himmel hängt tief überm Schornstein. Schnee stäubt von den Bäumen herab. Der Kaminofen tut seinen Dienst. Zeit!

Mein Kopf sieht andere Bilder: Ein schneeverwehtes Biwak auf einem Pfeiler an den Trango-Türmen im Karakorum (Pakistan). Eisige Wände, gefrorene Seile. Bergsteiger, die einen ihrer Kameraden halbtot aus einer Gletscherspalte bergen. Einen Militärhubschrauber, der wie ein winziges Insekt aus der Ferne heranschwebt. Zwischen den Bildern im Kopf und denen vor Augen liegen 5000 Kilometer – und fast 30 Jahre. Und der Verunglückte auf der Trage ist Bernd Arnold, Kletterer aus dem sächsischen Hohnstein und einer der besten seiner Zeit.

Ohne Zweifel hat Peter Brunnert diesen schicksalhaften Moment aus dem facettenreichen Leben des inzwischen fast 71-jährigen Altmeisters ganz bewusst gewählt, um etwas zu schreiben, was von Anfang an über ein alpines Drama weit hinausgehen und zur Biographie werden musste. Nicht nur, weil sein Sturz am Norwegenpfeiler bis heute gesundheitliche Folgen für ihn hat, sondern weil die Umstände, unter denen die Expedition – und der Unfall – damals zustande kamen, viel über den Menschen Bernd Arnold und seine Zeit erzählen. Das aber ist ein Stoff, der einen ganz anderen Peter Brunnert verlangt – einen, der sich jeglicher Versuchung zum Fabulieren tunlichst widersetzt. „Nicht der Humorist, nicht der Satiriker, sondern der nüchterne, aber doch einfühlsame Erzähler ist gefragt“, schreibt er im Vorwort. Ein Grenzgang – wohl auch für ihn selbst. Wer auf Brunnerts bekanntermaßen launigen Stil und seinen blitzgescheiten Wortwitz lauert, wird daher enttäuscht. In diesem Buch lässt er die Fakten sprechen – nur hier und da schimmert sein Humor unterschwellig durch. Das aber tut dem erkennbaren Bemühen um Sachlichkeit und Detailtreue keinen Abbruch, sondern lediglich dem Unterhaltungswert gut.

Einsames Licht auf einem dunklen See
Treiben lassen – wo könnte das besser gehen, als im mittelschwedischen Seenland? Und ehe man sich´s versieht, bricht die Dämmerung an. (Foto: Dana Landgraf)

Die DDR 1988. Das Wetter passt zum Thema. Ein kalter, blassweißer Dunst webt zwischen den Bäumen, verhüllt Teile des Waldsees und entzieht sie dem Blick. Man kann die Ferne hinter dem Vorhang erahnen, aber sie bleibt unwirklich und traumgleich. Mit dem Auto wären es bis ins nächste Dorf nur 15 Minuten, doch in der Nacht hat es heftig geschneit – vorerst kommen wir nicht raus. Das Wetter – eine Metapher des Gefangenseins. Die Expedition zu den Trango-Türmen fällt in die Zeit vor der Wende, als das politische System unter dem Einfluss seiner unübersehbaren Probleme schon Auflösungserscheinungen zeigt und Druck vom Kessel lassen muss. Unter bestimmten Voraussetzungen und in Einzelfällen wurden Westreisen plötzlich für den einen oder anderen möglich. Verlässliche Regeln dafür gab es keine. Höchstens hatten einige Anliegen oder Vorwände bessere Aussichten auf eine befristete Reiseerlaubnis als andere. Bergsport gehörte sicherlich nicht dazu. Noch hielt der Staat den Deckel drauf. Bernd Arnold erfand einen Verwandtenbesuch, um in den Westen und dann unerlaubterweise mit einem Expeditionsteam des Alpenvereins nach Pakistan zu gelangen.  Inwiefern ihn sein Bekanntheitsgrad bei der Rückkehr vor Repressalien geschützt haben mag, wird aus dem Buch nicht ganz klar – sein politischer Grenzgang blieb jedenfalls ganz im Gegensatz zum bergsteigerischen weitgehend folgenlos.

Mit Bernd Arnold an Sachsens wildester Ecke!

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Ein falscher Schritt. Der Sturz in die Spalte. Todesnähe. Es zeichnet ein gutes Buch aus, sich seinem dramatischen Wendepunkt in behutsamen, nicht allzu forschen Schritten zu nähern. Ich mache unser Kanu vom Ufer los und paddle auf den still ruhenden See hinaus, dem verblassenden Tageslicht hinterher. Zu dieser Jahreszeit setzt die blaue Stunde im Norden schon zeitig am Nachmittag ein, spätestens halb fünf ist es stockdunkel. Mir geistert ein Bild durch den Kopf, an dem ich auf Seite 152 des Grenzgangs hängengeblieben bin. „Bach-Idyll mit Blümchen am Rande des Dunge-Gletschers“ lautet die Unterschrift – Bernd Arnold hat es wenige Tage vor seinem Unfall fotografiert. Ein paar gelbe, violette und roséfarbene Blütentupfen zwischen Ufergräsern am Rand des Gletschers. Dahinter in der Unschärfe strömt der Bach. Eine scheinbare Belanglosigkeit nur – doch es liegt etwas Schwermütiges, fast Tragisches darin. Ein Funken Heimweh vielleicht. Der Gedanke an die Lieben zu Hause, hinter tausend Horizonten – in Hohnstein. Eine Vorahnung. Was immer den Kletterer in diesem Moment bewegt haben mag, vor fast 30 Jahren ist es im Bruchteil einer Sekunde erstarrt in diesem Bild. „Er spazierte über den Gletscher, fotografierte Blumen und genoss es ganz bei sich zu sein“, schreibt Peter Brunnert. Das Gespür für solche scheinbaren Nebensächlichkeiten und die Kunst, ihnen genau im richtigen Moment Raum zu geben, sind das sicherste Indiz dafür, dass dem Hildesheimer nicht nur ein packendes Bergbuch, sondern auch ein Meisterwerk an Umsicht und Einfühlungsvermögen gelungen ist. Man fühlt sich Bernd Arnold in der wohl bedrohlichsten Stunde seines Lebens so nahe wie ein guter Freund. Und fiebert seiner Rettung entgegen.

Eine Hütte in den Wäldern
Blick zurück. Ein einsames Licht. Unsere „Insel“. (Foto: Hartmut Landgraf)

Es ist ein anderer Peter Brunnert, ja. Er hat Gewicht und Fallhöhe bekommen – auch wenn ich ahne, welchen Nachhall solche Sinnbilder in den Ohren eines im Hinblick auf Doppeldeutigkeiten durchtrainierten Kletterhumoristen haben müssen. Der neue, ernsthafte Brunnert gefällt mir mindestens genauso gut. Und auch Silbermond wird sich noch an ihn gewöhnen. Langsam paddle ich durch die Dunkelheit zurück zum Ufer. Der See schimmert matt und geheimnisvoll. Oben im Wald glimmt ein einzelner Funken Licht – die Hütte. Es gibt Bücher, für die man sich eine einsame Insel wünscht. Peter Brunnerts Grenzgang gehört dazu. Und im schwedischen Winter kann auch eine Hütte unversehens zur Insel werden. Ich freu mich drauf, noch ein paar Tage dort gefangen zu sein. Am Kamin. Mit meiner Familie. Und all den Krankenhaus- und Heimkehrkapiteln, die im Buch noch kommen.

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Verschneiter Stein im See
„Aus der Stille werden die wahrhaft großen Dinge geboren.“ – Thomas Carlyle, schottischer Philosoph. (Foto: Dana Landgraf)

1 Kommentar zu Eingeschneit mit Peter Brunnert

  1. Lieber Hartmut,
    ich denke, das hast Du ganz prima geschrieben, Deine Sicht auf das neue Buch: Auf der einen Seite, wie Bernd sein Erleben im Tagebuch erfasst hat – auf der anderen Seite, wie das Peter im Buch umsetzt.
    Glückwunsch allen Beteiligten! Achim

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