Wandgenuss auf ganzer Linie

Felsgruppe im Elbsandsteingebirge
Der markanteste Felsen in der Gruppe der Lehnsteigtürme ist zugleich auch einer der historisch interessantesten Klettergipfel im Elbsandsteingebirge, der Lolaturm. (Fotomontage: Sven Legler/Hartmut Landgraf)

Der Lolaturm im Schmilkaer Gebiet ist ein Muss für Liebhaber steiler Wandkletterei. Große, ausgesetzte Wege, wo jedes Stückchen Fels lange in Erinnerung bleibt, manchmal jahrzehntelang – zum Beispiel eine Sanduhr in der Südwestwand.

Text: Bernd Arnold

Die Sommermonate und damit die obligatorische Ferienzeit, mit möglichst weit entfernten Reisezielen, sind vorüber. Die Zeit des „Altweibersommers“ beginnt. Eine Jahreszeit, in der wir unsere Kletterziele am heimischen Sandstein bevorzugt wieder auf der Sonnenseite suchen.  Die Gipfel im Schmilkaer Felskessel eignen sich vortrefflich dafür.

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Eine gute Gelegenheit, sich den Lehnsteigtürmen zuzuwenden, denn gern war auch ich um diese Jahreszeit dort unterwegs. Und neben großartigen Kletterwegen in allen Schwierigkeitsgraden bewegt man sich dabei in kletterhistorisch interessanter Umgebung.

Im ersten Kletterführer „Der Bergsteiger in der Sächsischen Schweiz“ (Fehrmann 1908) werden diese Felsen unter der Bezeichnung das „Breite Horn“ benannt.

Das Breite Horn

Unter dem Breiten Horn ist das schmale, weit südöstlich gegen den Heringsgrund vorgeschobene Felsriff zu verstehen, an dessen Südostseite der Lehnsteig die Höhe des Plateaus ersteigt. Auf seiner vordersten Spitze erheben sich die in einer Linie stehenden vier Lehnsteigtürme, die in der Richtung von Südwest nach Nordost als I., II., III., IV. Turm bezeichnet werden. 

Rudolf Fehrmann, 1908

Mit dem I. Turm, der auch als „Böser Turm“ bezeichnet wird, und dem II. Turm verbinden mich starke Erinnerungen aus meiner Anfängerzeit: Es war 1960. Mit dem Beiwagengespann sind wir nach Schmilka gefahren. Adolf Kozemba (mein Klettermentor), seine Frau „Liddi“ und ich im Beiwagen. Voll Stolz durfte ich das Seil (ein sogenanntes „Angora-Seil“, Dederon geflochten) tragen. An der Ilmquelle wurden die Wasserflaschen gefüllt, ein regelrechtes Ritual – bis heute.

Nur gut, dass ich von Oscar Schusters Erstbesteigungsbericht zum Bösen Turm noch keine Kenntnis hatte, sonst hätte ich mir vielleicht in die Hosen gemacht.

Die Erstbesteigung des Bösen Turms

Sonntag, den 27. August 1893, mit Weidemann, Böhme und Friedrich Meurer nach Herrnskretschen, von wo wir nach Schmilka und weiter zum Lehnweg wanderten; über diesen hinauf… Nun hinüber zu dem schon einmal vergeblich versuchten Turm mit der Traversierstelle, der den Namen „Böser Turm“ erhält. Ich mache den Quergang, der zum Schlimmsten gehört, was die Sächsische Schweiz überhaupt dem Kletterer bietet als erster, dann folgt, von beiden Seiten gehalten, Meurer. Vom Ende des Querganges bis zum Gipfel sind es noch 5 Meter Kletterarbeit. Böhme und Weidenbach werden mehrfach die Wand hinaufgezogen. Es war die erste Ersteigung des Turmes… 

Oscar Schuster, 1893

Da ich davon erst später erfuhr, vertraute ich einfach meinem Vorsteiger und machte mir über den Weg und den Quergang keine großen Gedanken – und so lief auch alles ganz gut. Am II. Lehnsteigturm durfte ich sogar den letzten Teil des Alten Weges, den kurzen Aufschwung zum Gipfel, im Vorstieg „meistern“.

Danach wurde es bei mir still um diese Türme. Erst 1965, als die „Meisterwege“ der damaligen Sportklassifizierung in den Fokus rückten, war ich wieder hier. Am 31. Oktober 1965 musste es unbedingt die Südkante (jetzt Lolakante) am Lolaturm sein. Diese gelang erst im zweiten Anlauf – im Sommer (am 10. Juli) hatte ich es schon einmal versucht, war aber am Überhang überm 1. Ring gescheitert, damals mit Manfred Jungrichter am Seil. In diese Zeit fielen auch die Alleinbegehungen des Alten Weges mit Gratvariante und des ausgesetzten Ellens-Weges.

Besser als gedacht – die Südwestwand

Im Jahr darauf – am 17. September 1966, nach einer Begehung des Aehligweges mit Jürgen Isert im Vorstieg – konnte ich der Versuchung nicht widerstehen. Die breite Südwestwand war ja fast noch unberührt, nur im oberen Teil war mit dem „Bergfreundeweg“ (Klaus Bergmann und Gefährten / 7.7.1963) der Wunsch, sich in dieser Wand zu bewegen, sichtbar gemacht. Eine wirkliche Lösung, durch die Mitte der Wand, stand also noch aus. Im Wissen, dass bald die Volksarmee auf mich wartete und längere Pausen bevorstanden, wollten wir es jetzt probieren.

Felsgruppe
Umnebelte Fels-Koryphäe: der Lolaturm, Mitte. (Foto: Hartmut Landgraf)

Von der „Westwand“ am Turm am Verborgenen Horn (Heinz Urban, Klaus Schulze, 06.9.1958 / damals die erste VIIIc Wandkletterei) inspiriert, sollte das Vorhaben vielleicht gelingen. Zumindest mit dem Fernglas, ein Weihnachtsgeschenk meiner Eltern und ständiger Teil meiner Ausrüstung, war eine mögliche Wegführung zu erkennen. Beim ersten Versuch, von zwei kleinen Knotenschlingen gesichert, erreichte ich am Beginn des steilen Wandteils eine Sanduhr. Welch Freude! Allerdings, das Fädeln derselben gestaltete sich sehr aufwendig, denn Kevlar gab es damals noch nicht. Irgendwann war es doch geschafft und mit dem Wissen um diese gute Sicherung konnte es am nächsten Tag weitergehen. Zurück am Fels, gleich im ersten Versuch, erreichte ich tags darauf eine kleine Platte, die das Schlagen des Ringes ermöglichte. Und darüber waren die Strukturen viel ausgeprägter als erwartet, sodass uns nichts mehr aufhalten konnte – die „Südwestwand“ war geboren.

Inzwischen sind Jahrzehnte vergangen, spätere Generationen schufen auch an dieser Wand neue Wege und Varianten. Heute ein rechter Tummelplatz für alle die steile Wandkletterei mögen. Die am häufigsten gewählte Route ist dabei die „Himmelsrichtung“ (RP IXa) von Rainer Treppte und Steffen Geißler (10.10.1982). Eine Kombination aus „Südwestwand“ und separatem Ein- und Ausstieg.  Sportkletterer beenden diese Tour meist am letzten Ring.

Ob „Gipfelstürmer“ oder „Sportkletterer“, die vielfältigen Wege am Lolaturm sind empfehlenswerte Ziele für den Spätsommer und Herbst. Eine Gipfelrast, mit umfassendem Rundblick, lohnt sich zu jeder Jahreszeit!

Bernd

 

 

 

Fortsetzung folgt

*Quellen:

  • Aus Oscar Schusters Tagebüchern, Dr. Waldemar Pfeilschmidt, Der Bergseiger Heft 2 1922
  • Der Bergsteiger in der Sächs. Schweiz, Dr. Rudolf Fehrmann, Leipzig 1908
  • Kletterführer Band Schrammsteine / Schmilka, Berg- und Naturverlag Rölke, 2012
  • Die Namen unserer Klettergipfel, H. Pankotsch und D. Heinicke, SBB 2013
  • Personen- und Klublexikon Sächs. Schweiz, Kerstin & Michael Schindler, SBB 2014
  • Der Elbsandsteinführer, B. Arnold, Panico-Alpinverlag 2017
  • Archivfotos und weitere Informationen: Joachim Schindler, Berghistoriker

Bislang sind erschienen:

    1. Hartmannweg am Vorderen Gansfelsen >>> zum Beitrag
    2. Schusterweg am Talwächter >>> zum Beitrag
    3. Weinertwand am Vexierturm >>> zum Beitrag
    4. Privatweg an der Großen Hunskirche >>> zum Beitrag
    5. Bruchholzkante am Spannagelturm >>> zum Beitrag
    6. Nordwestkante am Falkenstein >>> zum Beitrag
    7. Südwestwand am Lolaturm

Lolaturm

Historisches Foto mit Kletterern und Felsgipfel
Die erste – allerdings nicht anerkannte – Besteigung des Lolaturms, 5. Juni 1904. (Quelle: Archiv B. Arnold)

Als IV. und markantester Gipfel in der Reihe der Lehnsteigtürme wurde dieser mit einem Frauennamen bedacht. Wie kam s dazu? Die ursprünglichen Erstbesteiger, Robert Schade und Walter Thiel (05.6.1904, wegen Seilwurf nicht anerkannt), schrieben danach an Lola Günthersberger eine Postkarte aus Schmilka: „Heute im Winterberggebiet eine tadellose Erstbesteigung, ein stolzer Turm ist gefallen und bleibt Ihnen gewidmet! Nächste Besteigung müssen Sie mitmachen, wird Lola Turm getauft.“ Lola Günthersberger war Mitglied im Österreichischen Touristenklub, Sektion Dresden, und aktive Bergsteigerin (u.a. 1904 Teilnehmerin der 14. Besteigung der Guglia di Brenta). Am 22. August 1905 folgte dann durch Hanns Schueller und Walter Schützel die erste anerkannte Besteigung.

Historische Postkarte
Eine Postkarte über die erste, wegen Seilwurf nicht anerkannte Besteigung des Lolaturms. Walter Thiel schreibt an Lola Günthersberger: „Heute im Winterberggebiet eine tadellose Erstbesteigung, ein stolzer Turm ist gefallen und bleibt Ihnen gewidmet! Nächste Besteigung müssen Sie mitmachen, wird dann Lola-Turm getauft.“ (Quelle: Archiv B. Arnold)

Alter Weg (IV)

Aus der Scharte zum III. Lehnsteigturm Kamin auf großen Pfeiler. Übertritt und engen Kamin zu Absatz (AÖ). Rinne und über geneigten Felsen zum Gipfel.

Empfehlenswert ist die Kombination mit dem Gratweg (IV; Otto Klinger, 28.5.1911). Links vom Einstiegskamin des Alten Weges Rinne, Riss und Wand auf großen Pfeiler. Weiter wie AW zum Gipfel.

Ellens Weg (V)

Ein sehr lohnender Weg, mit 2 nachträglichen Ringen (nR) ausgestattet und trotzdem ein ernsthaftes Unternehmen; Eberhard Hoesch, Hans Neuber, 29.3.13. – In der Nordwestseite (ca. 30 m links vom AW) Kamin durchgehen zur Scharte. Über Blöcke zu hohem Band am Turm (nR). Hierher auch vom Pfeiler des Gratweges. Nach rechts um die Kante zum Abs. des AW (AÖ). Nun links, nahe der Nordkante, Steilrinne und Reibung (nR) zum Gipfel.

Historisches Foto von Kletterern
Die Erstbegeher des Aehligwegs 1921 – von links: Rudolf Aehlig, Kurt Aehlig, unbekannt, Walter Rösel. (Quelle: Archiv B. Arnold)

Aehligweg (VIIb)

Eine weitere Empfehlung, nun in gehobener Schwierigkeit (könnte auch VIIc sein); Kurt Aehlig, Walter Rösel, Rudolf Aehlig, 05.6.1921 – Dicht rechts der Südkante Handriss zu Band (1. Ring). Feinem Riss folgen zu 2. Ring. Quergang rechts und geneigten Riss zum Abs. des „Ellens Weges (nR), diesen zum Gipfel.

Mit der „Herbstvariante“ VIIIb; Kurt Richter, Herbert Richter; 01.10.1961 – Vom 2. Ring des „Aehligweges“ Rissspur zum 3. Ring der „Lolakante“, erschließt sich eine technisch anspruchsvolle Direktverbindung.

Lolakante (VIIIa)

Alfred Rohde, Helmut Wagler, Hans Rösler, Walter Voigt, 13.9.1946 – Links der Südkante erst Rissspur, dann Kante zu Band, rechts 1. Ring vom „Aehligweg“ (unterstützt) Kante zu 2. Ring. Kante über Band hinweg zu 2. Band. Quergang rechts zu 3. Ring. Erst Handriss, danach nach links und Kante zum Gipfel.

Historisch wertvoll, denn mit dieser Erstbegehung erst „Erwin Esche-Gedächtnisweg“, danach schlicht „Südkante“ und jetzt passend zum Turm „Lolakante“ benannt, wurde die Nachkriegserschließung (1946) eingeläutet. 1947 kam hier Günther Sturm, nach überstandenem Weltkrieg, durch Seilriss ums Leben.

Heute reißen Seile nicht mehr, die Ernsthaftigkeit der Kante hat sich erhalten, nicht zuletzt durch die sich an mehreren Stellen verschlechternde Felsqualität.

Über die Erstbegeher:

Robert Schade (abgestürzt 1918). Kaufmann in Dresden. 1904 ÖTK Sektion Dresden, 1904-1910 DuÖAV Sektion Warnsdorf. Erstbesteigungen: Mittlerer Verborgener Turm (1904), Hinterer Bussardturm (1907).

Walter Thiel (geb. 1880, gest. 1960). Kaufmann in Dresden. 1901 Gründungsmitglied ÖTK Sektion Dresden, 1906 DuÖAV Sektion Warnsdorf, 1906-1945 DuÖAV. Erstbesteigung: Lehnwand (1905), Erstbegehung: Hoher Torstein – Thielweg (1904).

Hanns Schueller (geb. 1882, gest. 1975). Arzt /Dr. med./Obermedizinalrat. 1904 ÖTK Sektion Dresden, 1905 Schwarzer Kamin 04, 1905-1906 DuÖAV Sektion Warnsdorf,  1907-1975 Akademischer Alpenverein München. Erstbesteigungen: Östl. Rauschenturm (1905), Schuellernadel (1906), Erstbegehungen: Vord. Gansfels-Schuellervariante (1905), Schiefe Zacke- Ostwand (1905).

Walter Schützel (geb. 1883, gest. 1968). Dipl.-Ing. Bauwesen, Regierungsbaurat. Daxensteiner 05, 1904-1945 DuÖAV, 1906 Gebirgsverein Sächs. Schweiz. Erstbesteigung: Schützelkopf (1905)

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